Kontroverse über Umgang mit Sterbewilligen

Kontroverse über Umgang mit Sterbewilligen
Suizidassistenz in kirchlichen Pflegeeinrichtungen? Das war für beide christliche Kirchen in Deutschland bislang undenkbar. Nun formiert sich auf evangelischer Seite Widerstand gegen das kategorische Nein, angeführt von hochrangigen Theologen.

Frankfurt a.M. (epd). Hochrangige Vertreter der evangelischen Kirche haben sich für die Möglichkeit von Sterbehilfe in kirchlich-diakonischen Einrichtungen ausgesprochen. Kirchliche Einrichtungen sollten eine bestmögliche medizinische und pflegerische Palliativversorgung sicherstellen, heißt es in einer von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und zwei weiteren Theologen unterzeichneten Stellungnahme. Zugleich dürften sie sich aber dem freiverantwortlichen Wunsch einer Person nicht verweigern, ihrem Leben mit ärztlicher Hilfe ein Ende zu setzen.

Die Autoren beziehen sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020. Darin hatten die Richter das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben betont und damit den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben. Diese richteten sich gegen das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung, das 2015 vom Bundestag beschlossen worden war.

Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Selbstbestimmung am Lebensende nachdrücklich betont habe, erscheine es möglich, "Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten", schreiben die Autoren des Gastbeitrags, der in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienen ist.

Diakonie-Präsident Lilie hatte sich zuvor bereits für die Möglichkeit der Sterbehilfe ausgesprochen. Zu den Autoren des Beitrags gehören auch die Bochumer Theologin Isolde Karle und der Münchner Theologe Reiner Anselm, der Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Mitgewirkt haben der hannoversche Landesbischof Ralf Meister und der Bochumer Jurist Jacob Joussen, Mitglied im Rat der EKD. Offiziell lehnt die EKD die Sterbehilfe ab - unabhängig davon, in welcher Einrichtung sie stattfinden könnte, wie ein Sprecher der EKD betonte.

Auch von katholischer Seite kommt Widerspruch. "Den subtilen Druck, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um am Ende des Lebens anderen nicht zur Last zu fallen, halten wir für eine große Gefahr", sagte der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Auch der Deutsche Caritasverband, der katholische Sozialverband, betonte, in katholischen Einrichtungen könne es kein solches Angebot geben. "Die Aufgabe der Einrichtungen kann nicht darin bestehen, möglicherweise den Suizid von Bewohnern zu organisieren. Sie besteht darin, Menschen zu begleiten und Alternativen zu eröffnen", sagte Caritas-Präsident Peter Neher.

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel lehnen Angebote von assistiertem Suizid in diakonischen Einrichtungen ebenso ab, wie der Bethel-Vorstandsvorsitzende Ulrich Pohl dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Ein aktives Herbeiführen des Todes durch Mitarbeitende Bethels komme nicht infrage, auch wenn ein Betroffener dies wünsche.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese sagte dem epd: "Es muss darum gehen, Hilfe beim Sterben anzubieten - und nicht Hilfe zum Sterben." Die Antwort auf Leid und Schmerz dürfe niemals die Ausweitung des assistierten Suizids sein. Griese ist ebenfalls Mitglied im EKD-Rat und hatte die Gesetzesinitiative 2015 zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe mit vorbereitet.

Der evangelische Kirchenjurist Hans Michael Heinig, der auch in der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD sitzt, sagte, in dem Text werde zu wenig thematisiert, welche Zumutungen die vorgeschlagene Etablierung "assistierten professionellen Suizids" für das Pflegepersonal und die Ärzteschaft in kirchlichen Einrichtungen bedeute. "Die inneren Verwerfungen wären massiv", sagte der Göttinger Professor. Er betonte zugleich, die Debatte sei überfällig.

Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gilt in Deutschland wieder die Rechtslage von vor 2016, wonach Sterbehilfeorganisationen Suizidassistenz leisten dürfen. Ob der Bundestag noch in der laufenden, im September zu Ende gehenden Wahlperiode ein neues Gesetz beschließt, das ihnen zumindest konkrete Regeln dafür vorgibt oder Ärzten die Suizidassistenz erlaubt, ist bislang offen. Mehrere Abgeordnete beraten seit längerem über das Thema. Ein konkreter Vorschlag liegt aber noch nicht vor.

epd co/hei kfr