Medikamentenversuche an Kindern: Studie belegt erschreckendes Ausmaß

Medikamentenversuche an Kindern: Studie belegt erschreckendes Ausmaß

Hannover (epd). Die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Wunstorf bei Hannover war zwischen 1945 und 1978 offenbar eines der Hauptzentren für Medikamentenversuche an Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen. Zwischen 1953 und 1976 seien etwa vier Prozent der aufgenommenen Jungen und Mädchen in Wunstorf von Arzneimittelversuchen betroffen gewesen, teilte das Sozialministerium am Dienstag in Hannover mit. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung (IGM) im Auftrag des Ministeriums verfasst hat. Sie belege "sehr eindrücklich das erschreckende Ausmaß dieser illegalen und zutiefst unethischen Arzneimittelstudien in niedersächsischen Kinder- und Jugendpsychiatrischen Kliniken", sagte Ministerin Carola Reimann (SPD).

Der Bund, die Länder, die Kirchen sowie deren Wohlfahrtsverbände haben die Stiftung "Anerkennung und Hilfe" ins Leben gerufen. Sie soll Personen unterstützen, die als Kinder oder Jugendliche in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie "Leid und Unrecht erfahren haben und heute noch an den Folgewirkungen leiden", sagte Reimann. Anträge für eine finanzielle Unterstützung könnten noch bis Ende 2020 gestellt werden.

Studienleiterin Christine Hartig betonte, dass die Versuche kein niedersächsisches Phänomen darstellten. In den 50er und 60er Jahren hätten Kinder kaum Rechte gehabt. Minderjährige seien in Heimen und psychiatrischen Einrichtungen von der Gesellschaft ausgeschlossen worden. Das habe derartige Arzneimittelstudien möglich gemacht.

Die Arzneimittelversuche hätten in der Regel dazu gedient, Indikationsbereiche von Arzneimittelgruppen wie Neuroleptika, Schlafmittel, Antidepressiva und Bromverbindungen auszudehnen und Dosierungsempfehlungen zu geben. Es sollte eine Medikation gefunden werden, mit der verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche leichter betreut werden konnten, heißt es in der Studie. Nebenwirkungen seien billigend in Kauf genommen. Das Einverständnis der Erziehungsberechtigten sei in der Regel nicht eingeholt worden.