Zeugen beschreiben Synagogen-Attentäter als Einzelgänger

Zeugen beschreiben Synagogen-Attentäter als Einzelgänger
Die Familie des Angeklagten hat am vierten Prozesstag die Aussage verweigert. Der Ex-Partner der Halbschwester sagte indes als Zeuge aus, dass Stephan B. bereits in der Vergangenheit ausländerfeindlich auftrat und sich antisemitisch äußerte.

Magdeburg (epd). Im Prozess gegen den Synagogen-Attentäter von Halle hat das Oberlandesgericht Naumburg am Mittwoch das persönliche Umfeld des Angeklagten in den Blick genommen. Ein Zeuge beschrieb den 28-Jährigen in der Verhandlung in Magdeburg als Einzelgänger, der sich bereits in der Vergangenheit antisemitisch geäußert habe. Die Eltern machten unterdessen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Auch die Halbschwester von Stephan B. wollte nicht aussagen. B. nickte seinen Eltern zu, als sie nacheinander den Gerichtssaal betraten.

B. bekennt sich offen zu seiner antisemitischen und rassistischen Einstellung. Fragen zu seiner Familie beantwortete der Angeklagte bislang nur sehr knapp. Der ehemalige Lebensgefährte der Halbschwester, der mit dem gemeinsamen Sohn oft in der Familie B. zu Besuch war, beschrieb den Angeklagten als zurückhaltenden und distanzierten Einzelgänger, der oft am Computer saß oder "mit Metall gebastelt" habe. Er berichtete auch von einer Situation, die bedrohlich auf ihn gewirkt habe: Stephan B. soll im Supermarkt zwei Mitarbeiter einer Pizzeria angeschrien haben, sie sollten in Deutschland Deutsch sprechen.

Die Flüchtlingskrise sei durchaus ein Thema in der Familie gewesen, die zwischen Mutter und Sohn auch zum Streit geführt habe, berichtete der Zeuge. In manchen Punkten habe die Mutter, eine derzeit arbeitslose Grundschullehrerin für Ethik, Deutsch und Kunst, zugestimmt, sei aber großteils anderer Meinung gewesen, sagte der 31-Jährige, der sich selbst aus solchen Diskussionen herausgehalten haben will.

Zudem habe sich B. auch antisemitisch geäußert und unter anderem gesagt: "Die Juden sind schuld." Widersprochen habe er diesen Äußerungen auch nicht, sagte der Zeuge. Da er "selbst mal in so einer Szene war" habe er gelernt, es bringe nichts. Auf Nachfrage gab er zu, im Alter von 16 oder 17 Jahren viele Freunde aus der rechtsextremen Szene gehabt zu haben, die Bier getrunken und "Leute angepöbelt" hätten.

Eine 75-jährige Zeugin, die B. als Grundschullehrerin unterrichtete, beschrieb den Angeklagten als "klugen und ehrgeizigen Jungen", der aber keine Freunde gehabt habe. Sie sagte: "Er war immer der Kleinste." Gewalttätig sei er ihres Wissens nicht geworden, emotionale Nähe habe er nicht zugelassen und sei körperlich distanziert gewesen. Eine andere Kollegin und Freundin der Mutter von B. sagte vor Gericht aus, sie habe geweint, als sie von dem Anschlag erfuhr: Seine Mutter habe sich immer Sorgen gemacht, dass er sich etwas antue, jetzt habe er anderen etwas angetan.

Mit Blick auf einen Abschiedsbrief der Mutter, die sich nach dem Anschlag das Leben wollte, und in dem sie sich selbst antisemitisch äußerte, sagte die 63-jährige ehemalige Lehrerin: "Ich kenne Frau B. seit über 20 Jahren. Sie hat sich nie rassistisch geäußert." Die Zeugin beschrieb die Mutter als gute Lehrerin und Stephan B. als "aufgewecktes Kind" mit vielen Interessen. Die Familie habe ihres Wissens nicht viele Kontakte außerhalb gehabt. Als B. sich nach einer schweren Krankheit jahrelang in sein Kinderzimmer zurückzog, habe sie der Mutter geraten, etwas zu tun: "Schmeiß ihn raus!".

Ein 29-jähriger Magdeburger, der 2010 mit B. für drei Monate im Grundwehrdienst der Bundeswehr ein Zimmer teilte, gab an, B. habe das Wort Jude schon mal als Schimpfwort benutzt. Beleidigungen seien in diesem Umfeld aber üblich gewesen, fügte er hinzu. Spitzname für Stephan B. bei der Bundeswehr sei "Kartoffel" gewesen.

Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt, zwei Menschen erschossen und weitere verletzt. Die Bundesanwaltschaft hat ihn wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiteren Straftaten angeklagt. Mit Sprengsätzen und Schusswaffen wollte er in die Synagoge gelangen, um möglichst viele Juden zu töten. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hielten sich dort 52 Gläubige auf.