Historiker: Hagia Sophia bleibt zentrales Symbol der Orthodoxie

Historiker: Hagia Sophia bleibt zentrales Symbol der Orthodoxie
23.07.2020
epd
epd-Gespräch: Karsten Packeiser

Mainz (epd). Mit der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee hat der türkische Präsident Recep Tayyip nach Überzeugung des Mainzer Religionshistorikers Mihai Grigore in der gesamten christlich-orthodoxen Welt alte Wunden aufgerissen. "Man kann sich die oströmische Christenheit ohne Hagia Sophia gar nicht vorstellen", sagte der Wissenschaftler am Donnerstag in Mainz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die einst größte Kirche der Christenheit habe aus theologischer Sicht ihren religiösen Status bereits vor Jahrhunderten verloren, ihre Symbolkraft aber niemals eingebüßt. Am 24. Juli soll dort erstmals seit über 80 Jahren wieder ein muslimisches Freitagsgebet stattfinden.

So diene die fast 1.500 Jahre alte Krönungskirche der byzantinischen Kaiser noch immer als Vorbild für orthodoxe Kirchenbauten, beispielsweise für den Neubau der orthodoxen Kirche in Warschau. Daher sei es nicht verwunderlich, dass alle orthodoxen Kirchenoberhäupter sich gegen die Umwandlung des Museums in eine Moschee ausgesprochen hätten. Da eine Nutzung der entweihten Kathedrale für orthodoxe Gottesdienste unmöglich und eine Rückgabe an das Patriarchat niemals realistisch gewesen sei, sei die orthodoxe Kirche mit dem Museumsstatus der Hagia Sophia grundsätzlich zufrieden gewesen.

Bedenken der Kirchen hätten für den türkischen Präsidenten aber keinerlei Bedeutung, ein Schreiben des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus I. habe Erdogan noch nicht einmal beantwortet. Mit weiterer Gegenwehr gegen die Nutzung der Hagia Sophia als Moschee rechne er nicht, sagte Grigore, der am Mainzer Leibniz-Institut für Europäische Geschichte forscht. Nach dem byzantinischen Verständnis der Beziehungen zwischen Staat und Kirche habe sich die Kirche der weltlichen Obrigkeit zu unterwerfen. Dies gelte auch für die Beziehungen zu einer nichtchristlichen Staatsführung.

Die Möglichkeit zu Gegenmaßnahmen hätte allenfalls Russland, das aber unter anderem wegen des Syrienkonflikts derzeit keinen scharfen Konflikt mit der Türkei riskieren werde. In jedem Fall sei der Status der Hagia Sophia keine religiöse, sondern eine politische Frage. Nach Überzeugung des Mainzer Religionshistorikers nutzt die türkische Führung die Hagia Sophia für ihre politischen Zwecke, um an die Eroberung Konstantinopels und an die "glorreiche Vergangenheit" des Osmanischen Reichs zu erinnern.

Die im sechsten Jahrhundert errichtete Sophienkirche in Konstantinopel war 1453 von den siegreichen Osmanen zur Moschee umgebaut und in den 1930er Jahren unter dem türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk in ein Museum umgewandelt worden. Dessen Beschluss war am 10. Juli mit einem Urteil des türkischen Obersten Verwaltungsgerichts annulliert worden.