Debatte über Änderungen in Fleischindustrie nimmt Fahrt auf

Debatte über Änderungen in Fleischindustrie nimmt Fahrt auf
Prekäre Beschäftigung, wenig Tierwohl, Corona-Hotspots: Das System der Billigfleisch-Produktion steht mehr denn je infrage. Bundesregierung, EU-Kommission und Parteien dringen auf Veränderungen.

Frankfurt a.M. (epd). Die Rufe nach besseren Arbeitsbedingungen und mehr Tierschutz in der Fleischproduktion werden immer lauter. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte am Wochenende ein schnelles Verbot von Werkverträgen an. Die EU-Kommission will Missstände europaweit beseitigen. Die Grünen verlangen eine andere Landwirtschaftspolitik, die Unions-Bundestagsfraktion einen Verzicht auf Werbung mit Billigfleisch.

Heil will das geplante Gesetz zum Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit im Kernbereich der Fleischbranche bereits im Juli vorlegen, es könne noch in diesem Jahr in Kraft treten. Er wolle das Thema auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnung setzen, die am 1. Juli beginnt, kündigte der Arbeitsminister in der "Welt am Sonntag" an. Es gehe nicht nur um die Zustände beim Fleischverarbeiter Tönnies, in dessen Großbetrieb in Rheda-Wiedenbrück sich mehr als 1.500 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert hatten, sondern "um systemische Probleme in der Branche, an die wir ranmüssen".

EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit kündigte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Online/Montag) Leitlinien und notfalls eine Richtlinie an, mit denen die Umgehung von EU-Sozialstandards europaweit verhindert werden soll. Andere EU-Staaten hätten bereits vor Jahren Beschwerden über die deutsche Fleischindustrie wegen unlauteren Wettbewerbs eingereicht, sagte Schmit. "Aber sozial schlecht abgesicherte und diskriminierte Saisonarbeitern gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Staaten, etwa in den Niederlanden oder in Südeuropa."

Nach einer EU-Übersicht, aus der die Funke-Blätter zitieren, wurden in den vergangenen Wochen in mehreren europäischen Staaten Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen und Fleischfabriken registriert, darunter in Irland, Spanien und Großbritannien. Schmit kritisierte die Anstellung von Arbeitern bei inländischen Subunternehmen. Diese Beschäftigten erhielten dann keinen gleichen Lohn für gleiche Arbeit, weil sie meist nicht unter die EU-Entsenderichtlinie fielen.

Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) äußerte am Samstag beim Besuch einer Corona-Teststelle im Kreis Warendorf scharfe Kritik an den Arbeits- und Wohnbedingungen der überwiegend aus Bulgarien und Rumänien stammenden Arbeiter in den Fleischfabriken. Er beklagte, alle Initiativen zum Verbot von Werkverträgen seien bislang am Widerstand der Fleischindustrie und ihrer Lobby gescheitert, selbst von seiner eigenen Partei sei er immer wieder ausgebremst worden.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ein umfassendes Gesamtkonzept mit gesetzlichen Änderungen. Er plädierte in den Funke-Zeitungen (Samstag) für eine verbindliche Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung und die Einführung eines "Tierschutzcents". Grünen-Agrarexperte Friedrich Ostendorff sagte der "Rheinischen Post" (Samstag): "Wir brauchen eine regionale Erzeugung, Verarbeitung und Verbrauch statt industriellen Mega-Schlachtfabriken."

Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), appellierte an den Einzelhandel, Werbung mit billigen Fleischprodukten zu unterlassen. "Es geht nicht, dass wir mit dem Produkt Fleisch, für das im Übrigen immer ein Tier gestorben ist, Lockvogel-Angebote zum Einkaufen machen", sagte er der "Rheinischen Post".

Die bayerische Landesregierung kündigte unterdessen an, dass sich künftig alle Bürger zeitnah bei einem niedergelassenen Vertragsarzt auch ohne Symptome testen lassen könnten. Allerdings hätten Personen mit Symptomen Vorrang, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) am Sonntag in München. Der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach bezeichnete das bayerische Vorgehen als grundsätzlich richtig. Allerdings müsse sichergestellt werden, "dass die richtigen Leute getestet und die Test selbst billiger werden", sagte er den Funke-Zeitungen (Online Sonntag, Print Montag): "Wir brauchen im Herbst Massentests."

epd lwd/lbm mih