Psychiater: Ehemaliger SS-Mann verdrängt möglicherweise Verbrechen

Psychiater: Ehemaliger SS-Mann verdrängt möglicherweise Verbrechen

Hamburg (epd). Der angeklagte ehemalige SS-Wachmann Bruno D. kann sich nach Aussage des Psychiaters Bernd Meißnest sehr gut an viele Ereignisse im KZ Stutthof erinnern, verdrängt aber offenbar zugleich grausame Fakten. Es sei durchaus möglich, dass besonders schreckliche Ereignisse "in der Erinnerungskiste ganz unten abgelegt wurden", sagte der Chefarzt der Klinik für Altersmedizin Gütersloh am Dienstag im Prozess gegen D. vor dem Hamburger Landgericht. Möglich sei also, dass er sich daran erinnere, wo er am Strand von Pelzerhaken sein Gewehr abgestellt habe, aber nicht an die Leichenberge am Ostseestrand.

Dem 93-jährigen Bruno D. wird Beihilfe zum Mord in mehr als 5.230 Fällen vorgeworfen. Er war zwischen August 1944 und April 1945 im KZ Stutthof (bei Danzig) als 17-Jähriger als Wachmann tätig. Aufgrund des hohen Alters wird derzeit maximal zwei Stunden lang verhandelt.

Je länger ein Ereignis zurückliege, desto fester seien die Mechanismen der Verdrängung, sagte der Psychiater. Jede Person habe dabei andere Strategien. Der Angeklagte habe während des Prozesses erzählt, dass die Ereignisse im KZ Stutthof kein Thema bei privaten Gesprächen gewesen seien. "Ihm fehlt die Erfahrung, über die schrecklichen Ereignisse zu reden." Dies gelte im Übrigen für viele Menschen seiner Generation. Ereignisse, die mit Schuld und Scham verbunden sind, würden Menschen besonders gern verdrängen, so Meißnest

Zu seinen letzten Aufgaben bei der SS gehörte nach Aussage des Angeklagten der Abtransport von toten KZ-Häftlingen vom Strand von Pelzerhaken bei Neustadt (Holstein). Sie waren zuvor aus dem KZ Stutthof nach Neustadt getrieben worden und am Morgen des 3. Mai 1945 am Strand von Marine-Soldaten, aufgebrachten Anwohnern und Mitgliedern des Volkssturms erschossen worden. Von den insgesamt rund 200 Leichen habe er aber nur sechs bis sieben gesehen, die er auf einen Lkw verladen musste, sagte der Angeklagte.

Sein Einsatz endete, als Neustadt am Nachmittag des 3. Mai von Alliierten besetzt wurde. Er sei von Offizieren weggeschickt worden, habe seine Uniform verbrannt und versucht, in Zivilkleidung den Weg nach Hause zu finden. D: "Wie das weitergehen sollte, wusste ja keiner."