Hamburg (epd). Im Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg haben zwei Mediziner ihre Gutachten erläutert. Der Virologe Professor Dennis Tappe vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin informierte am 25. Verhandlungstag über das Fleckfieber. Anschließend klärte der Rechtsmediziner Professor Sven Anders vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf über den Tod durch Vergasen und durch Hunger auf. Der Verhandlungstag fand erneut unter besonderen Schutzvorkehrungen statt.
Dem 93-jährigen D. wird Beihilfe zum Mord in mehr als 5.230 Fällen vorgeworfen. Er war zwischen August 1944 und April 1945 im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig als 17-Jähriger als Wachmann tätig. Die Verhandlung begann im Oktober 2019. Bisher sind weitere regelmäßige Verhandlungstermine bis Mitte Juni angesetzt.
Im KZ Stutthof brach Unterlagen zufolge vermutlich im November 1944 das Fleckfieber aus. Einige Baracken des "Frauenlagers" seien Ende Dezember unter Quarantäne gestellt worden, sagte Richterin Anne Meier-Göring mit Bezug auf Gerichtsunterlagen. Nur eine beständige Reinigung der Baracken, Auskochen der Gefangenen-Kleidung sowie regelmäßiges Waschen der Gefangenen hätte die bakterielle Infektion eindämmen können, sagte Tappe. "Unter den gegebenen hygienischen Bedingungen war es nur eine Frage der Zeit, bis sich alle Menschen ansteckten."
Fleckfieber wird von Kleiderläusen übertragen, deren Kot die Infektion weiterträgt. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch sei nicht möglich, so der Epidemiologe. Bei der lebensbedrohlichen Krankheit bekommen Menschen hohes Fieber, das über mehrere Tage anhält, starke Kopfschmerzen, und sie können sich aufgrund eines "umnebelten Wesens" nicht mehr selbst versorgen, so Tappe. Die erkrankten Gefangenen in Stutthof wurden in den jeweiligen Baracken sich selbst überlassen.
Rechtsmediziner Anders schilderte die Folgen des Vergasens durch das Gift Zyklon B (Blausäure): Der Tod sei je nach Konzentration in der Luft vermutlich "binnen Sekunden" eingetreten. Sei die Konzentration - etwa in dem sogenannten Gas-Waggon, der nicht luftdicht abgedichtet war - geringer gewesen, hätten die Menschen vermutlich eine starke Reizung der Schleimhäute und des Halses sowie Schwindel gespürt. Auf Krampfanfälle sei dann Atemstillstand und der Tod gefolgt.
Der Angeklagte D. wurde auf dem Weg ins Gericht und zurück von medizinisch geschultem Personal mit Schutzausrüstung begleitet und vollständig abgeschirmt. Auch für das Transportfahrzeug und innerhalb des Gerichtsgebäudes wurden besondere Hygienevorkehrungen und Abstandsregeln getroffen. Alle Prozessbeteiligten trugen zudem Mund-Nase-Schutzmasken. Pressevertreter konnten die Verhandlung nur von einem anderen Raum über eine Audio-Übertragung verfolgen.