Medizinethiker: Bei Triage-Entscheidungen gibt es kein "Richtig"

Medizinethiker: Bei Triage-Entscheidungen gibt es kein "Richtig"
02.04.2020
epd
epd-Gespräch: Renate Haller

Frankfurt a.M. (epd). Das medizinische Personal der deutschen Krankenhäuser muss laut dem Medizinethiker Kurt W. Schmidt in der Coronakrise auch dazu bereit sein, sich "schuldig" zu machen. Wenn die Kapazitäten nicht mehr für alle Kranken ausreichten, müssten Ärzteschaft und Pflegepersonal entscheiden, welche Patienten behandelt werden sollten und welche nicht oder nicht mehr, sagte der Frankfurter Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). "In einem solchen Katastrophenfall, bei dem nicht alle gerettet werden können, handelt es sich um ein echtes Dilemma." Solche Dilemmata seien grundsätzlich nicht lösbar.

"Diese Entscheidungen will wirklich niemand treffen", sagte Schmidt. Deshalb arbeiteten alle daran, eine solche Situation zu vermeiden. "Wir bleiben dem Menschen, den wir nicht haben retten können, weil wir einen anderen gerettet haben, etwas schuldig." Das sei keine persönliche Schuld und habe nichts mit einer falschen Entscheidung zu tun. Es gebe hier auch kein "Richtig". Eine solche Ausnahmesituation habe es in der gesamten deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben, sagte der Studienleiter der Evangelischen Akademie Frankfurt. "Da bleibt eine unauflösbare Tragik zurück."

Das Alter eines Patienten dürfe für sich genommen kein Entscheidungskriterium sein, stellte Schmidt klar. Es gehe allein nach medizinischen Kriterien. "Da allerdings mit dem Alter häufig auch Begleiterkrankungen einhergehen, ist der ältere Mensch in der Regel stärker gefährdet", räumte der Medizinethiker ein. Dies könne unter Umständen dazu führen, dass die vermutlich aussichtslose Behandlung eines Krebspatienten abgebrochen werde, um Platz für die wahrscheinlichere Rettung eines Corona-Kranken zu schaffen.

"Denn die Ärzte müssen ja entscheiden", erläuterte Schmidt einen solchen Fall. "Auch ein Nicht-Entscheiden hat Konsequenzen für Leben und Tod." Auf keinen Fall aber spiele es eine Rolle, ob ein Patient privat oder gesetzlich versichert sei. "Es geht um die medizinische Notwendigkeit und Überlebenswahrscheinlichkeit", betonte er.