TV-Tipp: "Südpol" (ARD)

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TV-Tipp: "Südpol" (ARD)
11.3., ARD, 20.15 Uhr
Nicht nur der Titel führt auf eine völlig falsche Fährte: "Südpol" beginnt wie ein Thriller, aber tatsächlich erzählt Grimme-Preisträger Nikolaus Leytner vom unaufhaltsamen Absturz eines Managers, dessen Welt bis vor Kurzem noch perfekt schien.

Im ersten Akt wirkt die Hauptfigur jedoch nur im Hintergrund mit: Im Wiener Vergnügungsviertel Böhmischer Prater hat sich ein Mann in einem Lokal verschanzt und die Kellnerin als Geisel genommen; die Kneipe heißt "Südpol". Die junge Frau ist Ella, die Freundin von Mario (Laurence Rupp), aus dessen Sicht die Geschichte zunächst geschildert wird. Sein Tag hat mit dem Fund eines positiven Schwangerschaftstests begonnen. Als er zum Südpol kommt, ist das Lokal von Einsatzkräften umstellt. Der Geiselnehmer verweigert jedoch jede Kontaktaufnahme, die Polizei ist machtlos, hilflos, ratlos. Immerhin lernt Mario auf diese Weise Ellas Mutter (Franziska Weisz) kennen; die beiden Frauen haben schon länger keinen Kontakt mehr. Plötzlich erklingt ein Schuss. Kurz drauf öffnet sich die Lokaltür, der Geiselnehmer kommt raus, aber Ella drängt ihn seltsamerweise wieder rein, schließlich fallen weitere Schüsse – und nun ändert Leytner radikal das Vorzeichen seines Films.

Die ersten zwanzig Minuten sind bloß ein Prolog. Es folgt eine lange Rückblende, die davon handelt, wie es überhaupt so weit kommen konnte; jetzt führt der Regisseur endlich auch seine Hauptfigur ein. Die Rolle des Hans Wallentin ist wie maßgeschneidert für Juergen Maurer: Eines Tages findet eine Frau (Caroline Peters) durch Zufall raus, dass ihr Gatte schon vor Wochen auf denkbar schnöde Weise entlassen worden ist. Seine vermeintliche Arbeitszeit verbringt der Mann, den Klavierkonzerten von Johann Sebastian Bach lauschend, im Park. Eines Tages fährt er aus einer Laune heraus in den Böhmischen Prater. Von nun an geht er regelmäßig zum Mittagessen ins Südpol. Die Brücken zu seinem alten Leben bricht er ab: Er zieht ins Hotel, lässt sein Auto mitten im Stau stehen, wirft sein Telefon ins Wasser und die Kreditkarte in einen Mülleimer. Das einzige, was er behält, ist die Pistole, die er daheim nach kurzem Zögern eingesteckt hat.

Dass es schließlich zum Eklat kommt, ist eher Zufall. Warum Ella (Lili Eply), die sonst so gern mit Wallentin plaudert, ausgerechnet an diesem Tag schlecht drauf ist und den Mann abwimmeln will, erklärt Leytner erst später. Viel faszinierender ist der erneute Wandel des Films, der im letzten Akt zum Kammerspiel wird, als die Handlung den Beginn des Prologs einholt: Der bis dahin eher wortkarge Gast erzählt der Kellnerin seine Geschichte; auch Ella schüttet ihm nun wie in einer besonderen Variante des Stockholm-Syndroms ihr Herz aus. All’ das aber kann die Polizei natürlich nicht wissen.

Der österreichische Autor und Regisseur hat hierzulande zunächst vor allem durch einige Dramen mit Christiane Hörbiger auf sich aufmerksam gemacht, darunter "Der Besuch der alten Dame" (2008); zuletzt hat er fürs Kino die herausragende Literaturverfilmung "Der Trafikant" über die Freundschaft zwischen einem Jugendlichen und Sigmund Freud gedreht. Für das Krimidrama "Ein halbes Leben" (2009) ist er mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden; außerordentlich berührend war auch sein Alzheimer-Werk "Die Auslöschung" (2013). Gerade in diesen beiden Arbeiten hat Leytner eine ungewöhnlich große Nähe zu seinen allerdings auch von herausragenden Schauspielern wie Matthias Habich und Klaus Maria Brandauer verkörperten Hauptfiguren hergestellt. Für "Südpol" gilt das nicht minder. Leytners Landsmann Maurer, der schon allein durch seine gleichermaßen sanfte wie volltönende Stimme beeindruckt, spielt ohnehin gern melancholische Typen, allen voran den kriminellen Dienststellenleiter in der Krimireihe "Spuren des Bösen" (mit Heino Ferch) oder den Kommissar in "Neben der Spur" (mit Ulrich Noethen). In den eindringlichsten "Südpol"-Szenen kommt Maurer komplett ohne Dialog aus, weil seine Blicke mehr sagen als tausend Worte. Leytners bevorzugter Kameramann Hermann Dunzendorfer lässt den oft nur schemenhaft zu erkennenden Wallentin im Zwielicht der Kneipe zudem wie eine sinistre Rachefigur wirken. Ähnlich bemerkenswert ist die Leistung von Lili Epply. Die junge Schauspielerin hat bereits in Friedemann Fromms Antikriegsfilm "Die Freibadclique" (2017) einen bleibenden Eindruck als Freibadschönheit hinterlassen, wirkt hier aber dank des dunklen Make-ups ähnlich düster wie Maurer.