Historiker warnt vor weiteren Denkmälern für NS-Opfer

Historiker warnt vor weiteren Denkmälern für NS-Opfer
17.02.2020
epd
epd-Gespräch: Lukas Philippi

Berlin (epd). Der Berliner Historiker Wolfgang Benz hat vor einer Nationalisierung des Gedenkens an NS-Opfer gewarnt. Hintergrund sind Initiativen für ein Polen-Denkmal am Berliner Anhalter Bahnhof. "Eine Nation mit einem Denkmal hervorzuheben, das zieht weitere Forderungen anderer nach sich", sagte Benz dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Benz betonte, eine Würdigung der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten, insbesondere in Polen und der Sowjetunion, sei dringend geboten. Allerdings bestehe mit der Initiative für ein Polen-Denkmal "die Gefahr einer Nationalisierung des Gedenkens". So gebe es auch bereits die Forderung nach einem Ukraine-Denkmal.

Der Historiker plädierte dafür, das "Gedenken durch Denkmale" durch den Bau eines Dokumentationszentrums über die deutsche Besatzungsherrschaft in Europa zwischen 1939 und 1945 zu ergänzen. Dies könne ein "Ort der historischen Aufklärung und der Bildung für Menschen aus allen europäischen Staaten werden", sagte er.

Das in Kooperation mit den Opfernationen umzusetzende Projekt würde einer Zersplitterung der Erinnerungskultur in Europa entgegenwirken, erklärte Benz. Hingegen würden Denkmäler für einzelne Opfergruppen "die Leerstellen historischen Wissens nicht beheben, dafür aber für Emotionen sorgen". Die notwendige Aufklärung über die deutschen Verbrechen und ihre Opfer bliebe auf der Strecke.

Benz, der auch Sprecher des Beirates der Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas ist, hofft nach eigenen Worten auf einen entsprechenden Beschluss des Bundestages mit Blick auf den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai. Erste positive Signale habe er aus mehreren Fraktionen erhalten, sagte er.

"Eine vergleichende Perspektive würde die Gemeinsamkeiten deutscher Okkupation zwischen Pyrenäen und Ural herausstellen", erklärte der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Zugleich könne auf die rassistisch motivierten Unterschiede bei der Behandlung der Zivilbevölkerung, der Kriegsgefangenen und der Zwangsarbeiter durch die Nazis aufmerksam gemacht werden.

In einem Schreiben an den Bundestag erinnerte Benz daran, dass "neben bekannten Kriegsverbrechen viele andere in unserer Erinnerungskultur bisher namenlos geblieben sind". Als Beispiel führte er das französische Dorf Oradour-sur-Glane an, dass im Rahmen von "Vergeltungsmaßnahmen" von Deutschen 1944 vernichtet wurde. Während in dem französischen Ort immer wieder daran öffentlich erinnert werde, sei weniger bekannt, dass in Weißrussland deutsche Einheiten 1943/44 mehr als 600 Dörfer samt ihrer Bevölkerung auslöschten.