Kein Durchgangsverbot für Blinde mit Hund in Arztpraxis

Kein Durchgangsverbot für Blinde mit Hund in Arztpraxis

Karlsruhe (epd). Blinden Menschen darf das Durchqueren einer Arztpraxis mit einem Blindenführhund grundsätzlich nicht verwehrt werden. Es stelle eine verfassungswidrige Benachteiligung wegen der Behinderung dar, wenn dies nicht behinderten Menschen erlaubt ist, Blinden mit ihrem zur Orientierung erforderlichen Hund jedoch nicht, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. (AZ: 2 BvR 1005/18) Ohne zwingende Gründe dürfe das Recht behinderter Menschen auf "persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit" nicht eingeschränkt werden, erklärten die Karlsruher Richter.

Im konkreten Fall befand sich eine blinde Frau aus Berlin in physiotherapeutischer Behandlung. Um in die Physiotherapiepraxis zu gelangen, konnten Patienten entweder ebenerdig durch den Wartebereich einer orthopädischen Praxis laufen oder durch den Hof über eine offene Stahlgittertreppe.

Als die blinde Frau am 8. September 2014 mit ihrer Blindenführhündin zum wiederholten Mal den Weg zur Physiotherapie durch die Arztpraxis nehmen wollte, wurde ihr das aus "hygienischen Gründen" untersagt. Sie könne den Umweg über die Stahltreppe nehmen. Die Frau lehnte das ab, da ihre Hündin vor der Treppe scheue und sich bereits mit ihren Krallen im Gitter verfangen habe.

Vor dem Kammergericht Berlin hatte die Frau, die inzwischen zur Durchquerung der Praxis einen Rollstuhl benutzen musste, keinen Erfolg. Doch das Durchgangsverbot ist unverhältnismäßig und benachteilige die Frau in verfassungswidriger Weise, entschieden die Verfassungsrichter. Das im Grundgesetz geschützte Benachteiligungsverbot solle behinderten Menschen zu einem möglichst selbstbestimmten und selbstständigen Leben verhelfen. Danach dürfen sie ohne zwingende Gründe nicht von Betätigungen ausgeschlossen werden, die nicht Behinderten offenstehen.

Der Beschwerdeführerin sei es nicht zuzumuten, ihren Hund vor der Praxis anzuketten und "sich von der Hilfe ihr fremder oder wenig bekannter Personen abhängig zu machen", etwa indem eine fremde Person sie in einem Rollstuhl schiebt, stellte das Bundesverfassungsgericht auch mit Verweis auf die Behindertenrechtskonvention klar. Danach müssen die individuelle Autonomie und die Unabhängigkeit von behinderten Menschen geachtet und die Teilhabe an der Gesellschaft gewährleistet werden.

Die von den Ärzten vorgebrachten "hygienischen Gründe" seien zudem nicht überzeugend. Das Robert Koch-Institut und die Deutsche Krankenhausgesellschaft hätten keine hygienischen Bedenken gegen die Mitnahme von Blindenführhunden in Praxen und Krankenhausräumen.