Rechtsstreit um Wittenberger "Judensau" geht in die nächste Runde

Rechtsstreit um Wittenberger "Judensau" geht in die nächste Runde

Naumburg (epd). Wenige Tage vor Beginn des Berufungsprozesses über die Sandsteinplastik "Judensau" an der Stadtkirche in Wittenberg hat die evangelische Kirchengemeinde Betroffenheit geäußert. "Die Stadtkirchengemeinde Wittenberg bedauert ausdrücklich, wenn Menschen sich von der antijüdischen Schmähplastik verletzt oder beleidigt fühlen", hieß es in einer am Samstag veröffentlichen Erklärung der Gemeinde. Die Kirchengemeinde sei offen für neue Wege und wolle die "Stätte der Mahnung" weiterentwickeln. Dabei solle künftig der Aspekt der christlich-jüdischen Versöhnung gestalterisch zum Ausdruck kommen.

Das Oberlandesgericht Naumburg wird am Dienstag in einem Berufungsprozess über die Entfernung der Plastik verhandeln. Der Kläger will die Entfernung der 700 Jahre alten "Judensau" erreichen, weil sie aus seiner Sicht den Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Der Kläger ist Mitglied einer jüdischen Gemeinde. Die beklagte Stadtkirchengemeinde ist Eigentümerin der unter Denkmalschutz stehenden Kirche in der Lutherstadt.

Ein Urteil ist am Dienstag nicht zu erwarten, es wird voraussichtlich ein Verkündungstermin bestimmt. In der Vorinstanz hatte das Landgericht Dessau-Roßlau am 24. Mai 2019 die Klage abgewiesen. Der Kläger könne die Beseitigung nicht verlangen, weil die aus dem 13. Jahrhundert stammende Schmähplastik den Tatbestand der Beleidigung nicht erfülle, urteilte das Gericht.

Das Sandsteinrelief in etwa vier Metern Höhe an der Fassade ist als Schmähplastik gegen Angehörige des jüdischen Glaubens erkenntlich. Mit Renovierungsarbeiten an der Kirche im Jahr 1983 entschloss sich die Gemeinde, das Sandsteinrelief an seinem Ort zu belassen. Im November 1988 weihte die Stadtkirchengemeinde unterhalb des Reliefs ein Mahnmal ein, das sich auf die Schmähplastik bezieht und die Wirkungsgeschichte des Antijudaismus und des Antisemitismus auf künstlerische Weise thematisiert.

Die Kirchengemeinde betonte in ihrer Erklärung: "Nach jüdisch-christlichem Verständnis gibt es keine tadellos perfekte Geschichte, aber es gibt die Kraft der Vergebung und Versöhnung, die durch die erlebe Geschichte hindurchschreitet und selbst aus Bösem Gutes werden lässt." Bezüglich einer Weiterentwicklung der "Stätte der Mahnung" sei man bereits in Gespräch mit jüdischen Vertretern.

Die Gemeinde bekundet Respekt für die Gefühle ihrer Kritiker und bittet zugleich "um Respekt für ihre memorialgeschichtlichen Entscheidungen". Die juristische Klage habe "die Fronten eher verhärtet und rückt die Stadtkirchengemeinde Wittenberg in eine Position, als sei sie Befürworterin oder gar Auftraggeberin der Schmähplastik". Die Gemeinde sei aber vielmehr "Erbin eines schwierigen Erbes".