Das päpstliche Erbe der Bamberger Protestanten

Die frühere Stiftskirche St. Stephan in Bamberg
© epd-bild/Wolfgang Lammel
Die frühere Stiftskirche St. Stephan in Bamberg: Das Deckenrelief in der Vierung entstand im Jahr 1688 und zeigt die Steinigung des ersten christlichen Märtyrers.
Das päpstliche Erbe der Bamberger Protestanten
Bambergs evangelische Hauptkirche St. Stephan feiert ihre 1.000-jährige Geschichte
"1.000 Jahre - 1.000 Begegnungen" steht als programmatisches Motto über dem Jubiläum der St.-Stephans-Kirche in Bamberg. Gefeiert wird von Januar bis Dezember ganz bewusst im ökumenischen Geist - aus guten Gründen.

Den Beinamen "fränkisches Rom" trägt Bamberg vor allem aus zwei Gründen: Wie das große italienische Vorbild wurde die Stadt auf sieben Hügeln erbaut, und als Sitz eines von sieben Erzbistümern nimmt sie für die römisch-katholische Kirche eine herausragende Stellung in Deutschland ein. Erst 2012 wurde dort das 1.000-jährige Bestehen des Kaiserdoms gefeiert; jetzt begeht die St.-Stephans-Kirche ebenfalls ein Jahrtausendjubiläum - unter lutherischer "Flagge".

In wenigen Städten sind die Traditionen der beiden großen christlichen Konfessionen auf so kuriose Weise miteinander verwoben wie in Bamberg. Der Vorgängerbau der heutigen evangelischen Dekanatskirche war ein Unikum im christlichen Abendland - nämlich das einzige Gotteshaus auf deutschem Boden, das von einem Papst geweiht wurde.

Zu verdanken ist dieses Privileg einer besonderen Beziehung zwischen kirchlicher und weltlicher Herrschaft. Seit 1002 amtierte Heinrich II. als ostfränkischer König, in dessen Machtstruktur die römische Kirche eine große Rolle spielte - auch in einer Allianz gegen Bedrohungen durch das Byzantinische Reich. Mit der Errichtung des Bistums 1007 und dem Dom als Symbol der "Reichskirche" schuf er sich dafür in Bamberg auch eine Art geistliche Repräsentanz. 

Papst Benedikt VIII., der Heinrich im Jahr 1014 zum deutschen Kaiser gekrönt hatte, erteilte am Osterfest 1020 dem jungen Bistum persönlich seinen Segen. Am selben Tag vollzog er in Anwesenheit des Kaisers und dessen Gemahlin Kunigunde die Weihe der neuen Kirche des Kollegiatstifts St. Stephan. Darstellungen des Herrscherpaares hielten die Erinnerung daran aufrecht: Heinrich trägt eine Miniatur des viertürmigen Bamberger Doms in der Hand, Kunigunde eine kleine Stephanskirche.

Tausch der Gotteshäuser

Die ursprüngliche Kirche auf dem Stephansberg gibt es nicht mehr. Am romanischen Kirchturm, dem ältesten erhaltenen Teil des Bauwerks, entstand im 17. Jahrhundert zuerst ein neuer Chorraum. Langhaus und Seitenflügel auf dem kreuzförmigen Grundriss wurden nach Plänen von Antonio Petrini vollendet: Er gilt als der führende Baumeister des Barock in Franken in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, zu dessen Werken unter anderem das fürstbischöfliche Sommerschloss Seehof bei Bamberg und die monumentale Hauger Stiftskirche in Würzburg zählen. Einen ähnlichen Kuppelbau wie im Stift Haug hatte Petrini auch für die Stephanskirche geplant - diese Idee blieb jedoch unverwirklicht. Eingeweiht wurde der Bau am 24. August 1717.

Während der historischen Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde auch das Stift St. Stephan säkularisiert. Und diese Zeit sorgte für einen bemerkenswerten "Lastenausgleich" in Oberfranken: Im überwiegend katholischen Bamberg und im mehrheitlich protestantischen Bayreuth erhielten die jeweiligen konfessionellen Minderheitsgemeinden je ein Sakralgebäude der anderen Kirche. Bayerns "Bürgerkönig" Maximilian I. übereignete die zwischenzeitlich leerstehende Stephanskirche der knapp 150 Seelen zählenden protestantischen Gemeinde, die damit ihr erstes eigenes Gotteshaus bekam und dort am 28. Januar 1808 den ersten Gottesdienst feierte.

Ausverkauf der Kunstschätze 

Mit dem Erbe ging man danach offenbar wenig pietätvoll um, wie in den 1950er-Jahren der damalige Bamberger Dekan Otto Dietz beklagte: "Ein der lutherischen Glaubenshaltung fremder Puritanismus übernahm dieses Kleinod und hat in gelegentlicher finanzieller Bedrängnis ohne Bedenken die Kirche um wesentliche, unersetzliche Kunstschätze ärmer gemacht." Verkauft wurden laut Dietz unter anderem zehn Altäre, vier holzgeschnitzte Statuen und die Kanzel, "eine der schönsten des Bamberger Landes".

Geblieben ist glücklicherweise der prächtige barocke Orgelprospekt, in dem sich seit 2008 ein neues Instrument mit 3.556 Pfeifen verbirgt. Einen herausragenden Ruf hat sich die Kirchenmusik an St. Stephan erworben, die sowohl alte Meister wie zeitgenössische Werke zur Aufführung bringt. Immer wieder ist die Kirche heute ein Ort für hochkarätige Kunstausstellungen - und auch im Raum selbst treten die barocken Stuckfiguren an der Decke in einen Dialog mit sakraler Gegenwartskunst. Augenfälligstes Beispiel dafür ist die zentrale "Altarinsel" mit Altar, Taufbecken und Kanzelpult, für die der Bildhauer Jürgen Goertz im Jahr 1986 eine kraftvolle Formensprache gefunden hat.

Inzwischen ist St. Stephan mit rund 6.000 Mitgliedern die größte evangelische Kirchengemeinde der Stadt und pflegt eine herzliche ökumenische Nachbarschaft mit den katholischen Mitchristen. So verstehen sich die rund siebzig Jubiläumsveranstaltungen in diesem Jahr ganz bewusst als "durch und durch ökumenisch aufgestellt", wie es Dekan Hans-Martin Lechner formuliert. Neben Gottesdiensten sind es Ausstellungen, Vorträge, Theater, Konzerte und Feste, die auch an anderen Orten der Stadt geplant sind. Zum Jubiläum wurde von einem Schülerkurs des E.T.A. Hoffmann-Gymnasium ein Audioguide erstellt: In der Kirche und ihrer Umgebung können an elf Stationen mit Hilfe von Smartphone und QR-Codes erklärende Hörtexte abgerufen werden.

Zum Fest haben die Bamberger übrigens auch Papst Franziskus eingeladen; auf den 2016 versandten Brief kam bis jetzt aber keine Antwort aus dem Vatikan.