Rotkreuz-Chef: Angriffe auf Zivilisten in Konflikten nehmen zu

Rotkreuz-Chef: Angriffe auf Zivilisten in Konflikten nehmen zu
11.12.2019
epd
epd-Gespräch: Marc Engelhardt

Genf (epd). Der Präsident der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, Francesco Rocca, fordert einen konsequenteren Schutz der Zivilbevölkerung in Krisen- und Konfliktgebieten. "Staaten müssen diskutieren, wie Zivilisten besser geschützt werden können", sagte Rocca dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rand der Internationalen Rotkreuz-Konferenz in Genf. "Wir brauchen eine neue Vereinbarung." In immer mehr Konflikten würden Zivilisten gezielt angegriffen, obwohl die vor 70 Jahren verabschiedeten Genfer Konventionen dies verbieten.

Unter den Folgen leiden Rocca zufolge Millionen Menschen. "Am offensichtlichsten sind die Bombardements von Märkten oder Krankenhäusern, aber es gibt andere - weniger auffällige - Angriffe auf den Alltag der Zivilbevölkerung." So werde etwa die Versorgung mit Wasser oder Gas gekappt, was gerade die Verletzlichsten treffe. Rocca forderte eine effektive Strafverfolgung all jener, die Zivilisten ins Visier nehmen. "Der Internationale Strafgerichtshof muss zeigen, dass diese Verletzungen der Genfer Konventionen Folgen haben." Auch die wachsende Zahl von Angriffen auf humanitäre Helfer habe oft das Ziel, die Hoffnungen der Zivilbevölkerung zu zerstören.

In Genf tagen noch bis Donnerstag Vertreter der 191 nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondverbände auf ihrer Konferenz, die im Regelfall alle vier Jahre stattfindet. Dabei werden auch neue Herausforderungen wie der Klimawandel diskutiert. Dessen Folgen seien auf allen Kontinenten spürbar, betonte Rocca. Die wachsende Häufigkeit und Intensität extremer Wetterereignisse habe weitreichende Auswirkungen für die Menschen und drohe zu neuen Konflikten zu führen. "Unsere freiwilligen Helfer arbeiten auch deshalb überall auf der Welt daran, die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung für die Folgen des Klimawandels zu erhöhen."

Rocca erwartet infolge der Klimakrise wachsende Migrationsströme. Schon jetzt seien die Herausforderungen für humanitäre Helfer in diesem Kontext immens, auch weil die Versorgung bedürftiger Migranten oftmals verhindert werde. "Die Kriminalisierung der Flüchtlingshilfe ist eines der schlimmsten Vermächtnisse unserer Zeit", kritisierte der Italiener. Dabei gehe es ganz simpel darum, Menschenleben zu retten. "Wenn wir von Menschlichkeit reden, dann wird uns vorgeworfen, dass wir Politik machen - das tun wir nicht, es geht uns schlicht um Menschenleben."

70 Jahre nach Unterzeichnung der Genfer Konventionen beklagt Rocca einen Vertrauensverlust auf allen Ebenen. "Es scheint, dass die grundlegenden Werte, das, was vor der Politik kommt und uns alle einen sollte, heute infrage steht." Deshalb sei es wichtig, gerade jetzt über Prinzipien und Werte zu diskutieren. Dessen ungeachtet gibt Rocca sich optimistisch, was die Zukunft der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung angeht, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. "Wir haben eine leuchtende Zukunft vor uns", sagte er. Dies liege vor allem an den nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondverbänden, die stärker seien als je zuvor.