Geteiltes Echo auf Karlsruher Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen

Geteiltes Echo auf Karlsruher Urteil zu Hartz-IV-Sanktionen
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz-IV-Sanktionen müssen Gesetze und der Umgang mit den Leistungsempfängern geändert werden. Verbände und Parteien sahen sich nach dem Richterspruch aber erst mal in ihren Auffassungen bestätigt.

Karlsruhe, Berlin (epd). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger sahen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften am Dienstag in ihren gegensätzlichen Auffassungen bestätigt. Während die Arbeitgeber von einer Bestätigung des Forderns und Förderns sprachen, verlangten die Gewerkschaften und Sozialverbände die vollständige Abschaffung der Sanktionen. Im Bundestag stieß der Richterspruch auf geteilte Reaktionen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach von einem ausgewogenen Urteil.

Die Karlsruher Richter hatten die gesetzlichen Regelungen zu Hartz-IV-Sanktionen teilweise gekippt. Danach sind Leistungskürzungen von mehr als 30 Prozent unzumutbar und verfassungswidrig. Sie dürfen ab sofort nicht mehr verhängt werden. Der Gesetzgeber darf dem Gericht zufolge zwar grundsätzlich Strafen vorsehen, muss aber die bisherigen Sanktionsregeln ändern.

Arbeitsminister Heil bezeichnete die Entscheidung als ein "weises, ausgewogenes Urteil". Das Grundsatzurteil biete eine Chance auf gesellschaftliche Befriedung und gebe Rechtssicherheit in der 15-jährigen Debatte, sagte Heil nach der Urteilsverkündigung in Karlsruhe. Er kündigte an, das Urteil werde auch Auswirkungen auf die unter 25-Jährigen Hartz-IV-Empfänger haben. Junge Erwachsene werden bisher am schärfsten sanktioniert.

Die Arbeitgeber begrüßten das Karlsruher Urteil. Das Bundesverfassungsgericht habe den Zusammenhang von Fördern und Fordern bestätigt, erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin. Notwendige und praktikable Sanktionsmöglichkeiten "waren und bleiben zu Recht mit dem Grundgesetz vereinbar".

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hob dagegen hervor, dass ab sofort die Unterstützung um nicht mehr als 30 Prozent und die Leistungen für das Wohnen gar nicht mehr gekürzt werden dürften. Nun müssten die Sanktionen insgesamt auf den Prüfstand, forderte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Sie seien unsinnig und schädlich, "etwa wenn Arbeitsuchende in prekäre und niedrig bezahlte Arbeit gezwungen werden". Der Ver.di-Vorsitzende Frank Werneke verlangte, die besonders scharfen Sanktionen für junge Erwachsene müssten fallen.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit kürzen die Jobcenter jährlich acht Prozent der Langzeitarbeitslosen die Hartz-IV-Leistungen. In einer gemeinsamen Erklärung forderten Sozialverbände und der DGB stattdessen ein "menschenwürdiges System der Förderung und Unterstützung einzuführen". Sanktionen schadeten der sozialen und beruflichen Eingliederung. Die Folgen seien gesundheitliche und psychische Belastungen sowie Verschuldung und sogar drohende Wohnungslosigkeit, erklärten die Sozialexperten in Berlin. Der Kontakt zum Jobcenter werde teilweise abgebrochen, das Hilfesystem erreiche die Betroffenen nicht mehr.

"Die Diakonie setzt sich für ein sicheres Existenzminimum ein", sagte Maria Loheide, Bundesvorstand des evangelischen Wohlfahrtsverbandes. Laut Ulrich Schneider, dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, "entspringen die Hartz-IV-Sanktionen einer längst überwundenen Rohrstockpädagogik des vergangenen Jahrhunderts". Er forderte, sie "komplett und ersatzlos zu streichen".

Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, bezeichnete die Entscheidung als ein "historisches Urteil" und als "echten Quantensprung zu sozialen Garantien". Danach seien Sanktionen, die 30 Prozent überschreiten, unvereinbar mit der Menschenwürde. Jetzt sei die Politik gefragt. Gemeinsam mit den Grünen werde die Linke weiter im Bundestag für eine vollständige Sanktionsfreiheit kämpfen.

Der sozialpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Sven Lehmann erklärte, das höchste Gericht schiebe "der völlig aus dem Ruder gelaufenen Sanktionspraxis einen Riegel vor". Er forderte schnelle Korrekturen und eine "sanktionsfreie Garantiesicherung". Kürzungen unter das Existenzminimum müssten endlich ein Ende finden, sagte der Grünen-Politiker.

Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Peter Weiß, betonte hingegen, die Kürzung der Leistungen um 30 Prozent sei weiterhin möglich. Die wichtigste Botschaft aus Karlsruhe laute, dass das Prinzip des Förderns und Forderns erhalten bleibe. Ähnlich äußerte sich die FDP. Erwartungen, die der Sozialstaat an Hartz-IV-Bezieher richte, seien zumutbar, erklärte der sozialpolitische Sprecher der Fraktion, Pascal Kober.

epd bm/mj/fle/lbw cez