Viele Eltern sind Vorlesemuffel

Viele Eltern sind Vorlesemuffel
Stiftung Lesen legt neue Studie vor und wirbt für Vielfalt beim Lesen mit Kindern
Vorlesen als Schlüssel für besseren sprachlichen Ausdruck, kognitive Fähigkeiten und nicht zuletzt die Entwicklung von Einfühlungsvermögen - so beschreibt die Stiftung Lesen die Vorteile für Kinder, wenn deren Eltern öfter zum Buch greifen würden.

Berlin (epd). Knapp ein Drittel (32 Prozent) aller Eltern lesen ihren Kindern im Alter zwischen zwei und acht Jahren selten oder nie vor. Dieser Wert habe sich seit 2013 nur minimal verändert, heißt es in der aktuellen Vorlesestudie 2019, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Der Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen, Jörg Maas, sprach von einem skandalösen Befund. "Lesen ist Voraussetzung für Bildung", betonte er.

Vor allem Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss lesen laut Studie nur selten oder nie vor (51 Prozent). Empfohlen werden mindestens 15 Minuten Vorlesen pro Tag. Die Stiftung stellt dazu unter anderem mit Hilfe einer Vorlese-App wöchentlich kostenlos Geschichten zum Vorlesen zur Verfügung.

"Unsere Aufgabe bleibt es weiterhin, Eltern zu motivieren und ihnen zu zeigen, dass Vorlesen wichtig für die Entwicklung von Kindern ist", sagte Maas. Eltern könnten im Alltag auf vielfältige Weise sprachliche Anreize geben: "Dann ist es vom Märchenerzählen über das gemeinsame Betrachten des Fotobuchs zum klassischen Vorlesen nicht weit", sagte Maas.

Dabei sei es zweitrangig, so Maas, ob aus einem gedruckten Buch oder etwa aus einem E-Reader, Tablet oder Smartphone vorgelesen werde: "Lesen in digitalen Formaten ist nicht per se schlechter." Allerdings orientiere sich der Lesebegriff im deutschsprachigen Raum immer noch sehr stark am gedruckten Buch, ergänzte Simone Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen.

"Viele Eltern verstehen den Begriff des Vorlesens zu eingeschränkt. Vor allem jene, die selten vorlesen, denken nur an das klassische Lesen von Buch mit Text", sagte Jürgen Kornmann, Beauftragter Leseförderung der Deutsche Bahn Stiftung.

Ehmig empfahl den Eltern, den Begriff des Vorlesens weiter zu fassen. Dazu gehöre auch, Bilder in einem Buch anschauen und Geschichten dazu erzählen, aus Zeitschriften und Comics vorlesen, Babys einfache Bücher zeigen und etwas dazu erzählen, ein Wimmelbuch ohne Text anschauen oder Bücher auf einem E-Reader vorlesen.

Der Studie zufolge lesen berufstätige Mütter ihren Kindern mehr vor als nicht berufstätige. 27 Prozent der berufstätigen Mütter lesen nur selten oder gar nicht vor, bei den nicht berufstätigen sind es 39 Prozent. Väter sind weiterhin Vorlesemuffel, 58 Prozent von ihnen lesen selten oder nie vor.

Vorlesen hat laut Stiftung Lesen auch "eine längerfristige soziale Bedeutung": Wurde Kindern regelmäßig vorgelesen, seien diese häufiger darum bemüht, andere in die Gemeinschaft zu integrieren. Auch sei der allgemeine Gerechtigkeitssinn dieser Kinder besonders ausgeprägt, heißt es unter Verweis auf frühere Studien. Zudem falle vier von fünf Kindern, denen regelmäßig vorgelesen wurde, das Lesenlernen in der Grundschule leicht.

Die Vorlesestudie wird seit 2007 jährlich erstellt. In diesem Jahr wurden für die repräsentative Umfrage im Juni und Juli 700 Eltern von Kindern im Alter von zwei bis acht Jahren telefonisch befragt. Initiatoren sind neben der Stiftung Lesen die Wochenzeitung "Die Zeit" und die Deutsche Bahn Stiftung. Für den 15. November haben sie zum bundesweiten Vorlesetag aufgerufen.