Berlin, São Paulo (epd). Erstmals seit drei Jahren ist in Brasilien die Zahl der Morde 2018 zurückgegangen. Zugleich seien aber noch nie so viele Menschen durch Polizeigewalt getötet worden, heißt es in der am Dienstag in São Paulo vorgestellten Gewaltstatistik des brasilianischen Forschungsinstituts Forum öffentliche Sicherheit (Fórum Brasileiro de Segurança Pública).
Insgesamt wurden demnach im vergangenen Jahr 57.341 Menschen ermordet. 6.220 von ihnen kamen durch Polizeigewalt um. Die Zahl der Morde durch Polizisten stieg damit um rund 20 Prozent. Jeder zehnte Mord gehe auf das Konto der Sicherheitskräfte, betonte das Forum Sicherheit.
Im Vergleich zu 2017 ging die Zahl der Morde insgesamt dem Bericht zufolge um zehn Prozent zurück. Doch bleibt Brasilien eines der weltweit gewalttätigsten Länder und liegt mit seiner Mordrate weit vor den USA oder Mexiko. Das Forum Sicherheit bezieht seine Informationen von den Regierungen der Bundesstaaten, der Polizei und Nichtregierungsorganisationen.
Neben anderen Faktoren machen die Experten des Forums Sicherheit auch den Kurs von Präsident Jair Bolsonaro für die wachsende Polizeigewalt verantwortlich. Der Rechtspopulist ermunterte bereits im Wahlkampf die Sicherheitskräfte immer wieder zum Waffengebrauch.
Vor allem im Bundesstaat Rio de Janeiro nahm die Polizeigewalt zu, wie das Forum Sicherheit erklärte. Insgesamt 22,8 Prozent aller Morde wurden von Sicherheitskräften verübt. In den vergangenen Monaten kam es in den Armenvierteln von Rio immer wieder zu Polizeieinsätzen gegen die organisierte Kriminalität, bei denen viele Unbeteiligte umkamen. Der Sicherheitsexperte Leandro Piquet von der Universität São Paulo warnte vor einer Spirale der Gewalt: "Die Antwort auf eine Polizei, die aggressiv und unkontrolliert agiert, ist noch mehr Gewalt von Seiten der organisierten Kriminalität", sagte er der Zeitung "Folha de São Paulo".
Rios neuer Gouverneur Wilson Witzel hat den Kurs gegen Kriminelle verschärft und befürwortet den Einsatz von Scharfschützen, um Verdächtige aus großer Entfernung zu erschießen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von außergerichtlichen Hinrichtungen. Witzel ist ein Anhänger Bolsonaros.