Experte: Kolumbiens Friedensvertrag unter Druck

Experte: Kolumbiens Friedensvertrag unter Druck
03.09.2019
epd
epd-Gespräch: Susann Kreutzmann

Berlin, Bogotá (epd). Nach einem Kampfaufruf früherer Rebellenführer steht die kolumbianische Regierung laut dem Lateinamerika-Experten Günther Maihold unter Druck. Als Reaktion darauf müsse sie zügig die "ernsthafte Umsetzung des Friedensvertrages" vorantreiben, sagte der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. "Das muss Priorität haben." Trotz des Kampfaufrufes rechne er nicht mit der gänzlichen Aufkündigung des Abkommens von 2016 zwischen der Regierung und der Farc-Guerilla. "Auch in der Vergangenheit gab es in immer wieder Abspaltungen von ehemaligen Konfliktparteien, die sich dem Befriedungsprozess nicht anschließen wollen."

In der vergangenen Woche riefen mehrere frühere Farc-Anführer zu einer Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes auf. Einige von ihnen waren maßgeblich an den Verhandlungen für das Friedensabkommen beteiligt. Sie werfen der Regierung vor, die Umsetzung zu behindern und nicht genug für den Schutz der entwaffneten Rebellen zu tun. Nach Maiholds Einschätzung ist allerdings auffällig, dass in diesem Fall die Abspaltung in die historische Führungsgruppe der Farc hineinreiche. "Das macht deutlich, dass es innerhalb der Farc starke Spannungen gibt."

Auch Maihold sieht Probleme bei der Umsetzung des Friedensabkommens. Zu den nicht umgesetzten Vereinbarungen zählten die Landreform, die Versöhnungspolitik und Fragen der Restitution. In Teilen der ehemaligen Farc-Gebiete sei der Staat nicht präsent. Dieser Platz sei von der Drogenmafia, Farc-Abspaltungen und Paramilitärs besetzt worden. "Die demobilisierten Farc-Kämpfer und soziale Aktivisten befinden sich wirklich in einer prekären Sicherheitslage, und bisher ist nicht erkennbar, wie das durch die Regierung geändert wird."

Für eine zügige Umsetzung des Abkommens müssten alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte des Landes zusammenwirken. Von einer militärischen Intervention hingegen, wie vom konservativen Präsidenten Iván Duque angekündigt, hält Maihold nichts. "Damit ist das Problem nicht gelöst." Die Reaktion Duques entspreche aber dem "typischen Muster". Sie sei Ausdruck dafür, "dass er mit seiner Politik so nicht weitermachen kann".

Als entscheidend für eine zügige Umsetzung des Vertrags sieht Maihold die Sonderjustiz JEP. Sie gilt als Rückgrat des Friedensvertrags und soll die schweren Menschenrechtsverbrechen des über 50 Jahre währenden Konflikts aufklären. Das konservative Lager in Kolumbien hält die möglichen Strafen für zu niedrig und versucht, Änderungen zu erwirken.

Die JEP müsse schnell mit den Verfahren beginnen, "um bei der Bevölkerung auch das Rechtsgefühl zu stärken, dass Aufklärung betrieben wird", sagte Maihold. "Sie steht zeitlich unter Druck, Handlungskompetenz zu beweisen." Von einigen werde die JEP als reines Farc-Tribunal betrachtet. Bislang wurde von der Sonderjustiz hauptsächlich gegen Farc-Kämpfer ermittelt. "Dabei kommt dem Militär eine entscheidende Rolle zu."