Wie sich kirchliche Flüchtlingshilfe-Initiativen seit 2015 verändert haben

Armbänder mit Aufschrift "Willkommen" oder "Refugees welcome"
© epd-bild/Diakonie/Stephan Roeger
Bei mehreren Wohlfahrts- und Kulturverbände in Deutschland sind bunte Stoff-Armänder mit der Aufschrift "Willkommen" oder "Refugees welcome" für jeweils fünf Euro erhältlich.
Wie sich kirchliche Flüchtlingshilfe-Initiativen seit 2015 verändert haben
Anfangs sammelten enthusiastische Gemeindemitglieder Spielsachen und gebrauchte Kleidung. Inzwischen sind viele kirchliche Initiativen der Flüchtlingshilfe professionell geworden.

Die katholische Mainzer Jakobus-Kirche ist ein schlichter Neubau, aber das Untergeschoss mit seinen dunklen Ziegelwänden bietet ein wenig Schutz vor der größten Sommerhitze. In einem der Räume läuft ein Deutschkurs, nebenan trifft sich der Vorstand der Ökumenischen Flüchtlingshilfe Oberstadt (ÖFO) zu einer Sitzung. Als 2015 innerhalb weniger Monate Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, waren überall in der Republik ehrenamtliche Hilfsinitiativen entstanden, oft über Nacht und in vielen Fällen im Umfeld der Kirchen. Seither haben sich die Stimmung im Land, die Flüchtlingspolitik und Gesetze verändert, aber viele Initiativen sind weiter aktiv.

In der Mainzer Oberstadt hatten sich katholische, evangelische und freikirchliche Gemeindemitglieder zusammengetan, nachdem bekanntgeworden war, dass die Stadtverwaltung eine große Sammelunterkunft in der Nachbarschaft eröffnen wollte. Über einen Mangel an Hilfsbereitschaft konnte sich die Initiative nicht beklagen. Im Gegenteil - schnell türmten sich die Kleider- und Spielsachenspenden. "Irgendwann kam die Erkenntnis: Wir müssen ein Verein werden", berichtet der ÖFO-Vorsitzende Bruno Hoffmann. "Privatspenden versiegen irgendwann, wenn keine Spendenbescheinigungen ausgestellt werden können."

Hildegund Niebch vom Referat Flucht und Asyl der Diakonie Hessen hat genau beobachtet, wie sich die kirchliche Flüchtlingsarbeit seit 2015 verändert. Inzwischen steht nicht mehr Nothilfe für Neuankömmlinge im Vordergrund, sondern Integrationsarbeit. Kirchliche Gruppen vermitteln Arbeitssuchende, organisieren Deutschkurse oder Nachhilfeunterricht. Die Initiativen seien professioneller geworden, haben Erfahrungen damit, Projektmittel anzuwerben. Sie haben die Anforderungen an die Helfer erhöht, die zum Beispiel Kurse anbieten. Zum Teil gibt es sogar, wie bei der ÖFO in Mainz, hauptamtliche Mitarbeiter.

Nicht alle teilen dieses Verständnis von Flüchtlingsarbeit, einige Helfer der ersten Stunde sind deshalb irgendwann ausgestiegen. "Für manche ist das nicht mehr Hilfe, sondern 'das System'", erzählt der emeritierte Hochschulprofessor Franz Hamburger, der sich ebenfalls in der Mainzer ÖFO engagiert. Außerdem sei die kirchliche Flüchtlingsarbeit vielerorts politischer geworden, berichtet die Diakonie-Referentin Niebch. In Hessen kämpften kirchliche Gruppen zurzeit beispielsweise gegen überzogene Kosten, die arbeitende Flüchtlinge für die Unterbringung in Sammelunterkünften zahlen müssten.

Angebote für alle Menschen

Eine andere Tendenz ist, dass Hilfsangebote für Flüchtlinge zunehmend für alle Menschen im Ort geöffnet werden. Im rheinhessischen Jugenheim bieten engagierte Ehrenamtliche aus dem Umfeld der evangelischen Gemeinde Hausaufgabenhilfe. "Die richtet sich jetzt an alle Kinder", berichtet Uli Röhm, Sprecher der Initiative "Willkommen im Dorf". Auch die Helfer in der Mainzer Oberstadt haben die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, die Zielgruppe der Projekte zu erweitern. Zu den Sprachkursen in der St.-Jakobus-Kirche kommen jetzt auch ausländische Studenten oder Ausländer, die kürzlich aus anderen EU-Ländern in die Stadt gezogen sind. "Es gibt sogar deutsche Staatsbürger, die noch Deutsch lernen wollen", erzählt ÖFO-Mitarbeiter Sergey Sabelnikov.

Dass in der Flüchtlingspolitik längst ein ganz anderer Wind weht als noch vor einigen Jahren, entgeht aber auch den Helfern nicht. "Wir spüren es bei den jungen Afghanen, die dauerhaft in Angst leben", sagt der Erziehungswissenschaftler Hamburger. "Einige sind nach Frankreich weg, weil sie gehört haben, dass die Franzosen nicht abschieben." Und auch manche der Ehrenamtlichen seien jetzt reservierter gegenüber den Flüchtlingen. Berichte über Straftaten wie der Mord an der Mainzer Schülerin Susanne F. hätten auch bei hilfsbereiten Einheimischen Ängste ausgelöst.

Die Diakonie-Referentin Niebch bedauert, bei Treffen höre sie inzwischen zunehmend Klagen von Helfern, die sich "wie ein Fußabtreter" vorkommen würden. Trotzdem habe sie den Eindruck: "Es sind noch immer erstaunlich viele bei der Sache."