Verzweifelte Lage an Bord treibt "Sea-Watch" in italienische Gewässer

Verzweifelte Lage an Bord treibt "Sea-Watch" in italienische Gewässer
Keine Erlaubnis für die Seenotretter mit mehr als 40 Flüchtlingen
Angesichts der kritischen Lage an Bord sieht die "Sea-Watch 3" keine andere Möglichkeit mehr, als ohne Freigabe die italienische Küste anzusteuern. Die Retter fühlen sich von Europa im Stich gelassen. Ihnen droht in Italien Strafverfolgung.

Frankfurt a.M., Rom (epd). Nach zwei Wochen vergeblichen Wartens auf die Genehmigung zum Einlaufen in einen europäischen Hafen hat das Rettungsschiff "Sea-Watch 3" am Mittwoch den Notfall erklärt. Das Schiff mit noch 42 Flüchtlingen an Bord habe sich angesichts der verzweifelten Lage der Menschen gezwungen gesehen, gegen Mittag in italienische Hoheitsgewässer einzufahren, teilte die Organisation mit. Damit riskieren die Retter, dass ihr Schiff festgesetzt wird und sie selbst strafrechtlich verfolgt werden.

Keine europäische Institution sei bereit, die Verantwortung zu übernehmen und die Menschenwürde an den Grenzen im Mittelmeer zu wahren, beklagten die Retter. Daher müssten sie nun selbst handeln. Nachdem ein Eilantrag der "Sea-Watch 3" vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstagabend gescheitert sei, habe sich die Lage der Menschen schlimmer und hoffnungsloser denn je dargestellt.

"Wir hatten schon die ganze Zeit die Situation, dass Menschen über Bord springen wollten", sagte Sprecher Ruben Neugebauer dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die EGMR-Entscheidung habe die Situation weiter verschärft. Die Seenotretter hatten vor dem Gericht beantragt, die aufgenommenen Flüchtlinge in Italien an Land bringen zu dürfen. Der EGMR erklärte aber, die Situation an Bord des Schiffes rechtfertige derzeit keinen Zwang gegen Italien.

"Wir entern italienisches Gewässer, weil wir keine anderen Optionen mehr haben, um die Sicherheit unserer Gäste zu gewährleisten, deren grundlegenden Rechte lange genug verletzt worden sind", erklärte der Sea-Watch-Vorsitzende Johannes Bayer nach dem Gerichtsbeschluss. "Wir haben Menschen an Bord, die Gräuel in Libyen durchgemacht haben, die schwer gefoltert wurden, aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, muss jede aus See gerettete Person dem Gesetz zufolge an einen sicheren Ort gebracht werden."

Die "Sea-Watch 3" hatte am 12. Juni 53 Menschen in Seenot aus dem Mittelmeer gerettet. Einige von ihnen wurden mittlerweile als medizinische Notfälle von Bord gebracht. Alle anderen haben in ungewisser Lage vor der Insel Lampedusa ausgeharrt.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, drängte mit Blick auf die "Sea-Watch", die Kriminalisierung der Seenotretter zu beenden. "Das, was da passiert, ist ein moralischer Skandal", sagte Bedford-Strohm am Mittwoch in Berlin anlässlich des für den Abend geplanten traditionellen Johannisempfangs der EKD. Er erklärte vor Journalisten, die EKD prüfe derzeit eine Resolution, die auf dem am Sonntag zu Ende gegangenen Kirchentag verabschiedet worden war. Der EU-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne) hatte eine Petition aufgesetzt, die fordert, dass die EKD ein eigenes Schiff ins Mittelmeer entsendet.

Die Europapolitik-Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Franziska Brantner, nannte die drohenden Strafen für die "Sea-Watch"-Crew ein Armutszeugnis für die europäische Solidarität. "Das Leid der Menschen auf der 'Sea-Watch' ist unerträglich", erklärte sie. "Diese Tragödie zeigt erneut, wie dringend wir eine echte funktionierende europäische Seenotrettung brauchen." Es dürfe nicht sein, die Rettung an Nichtregierungsorganisationen auszulagern, die dann strafrechtlich verfolgt würden, weil sie Menschenleben retten.