Parlament statt Räte

Eröffnungsrede von Friedrich Ebert der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Nationaltheater in Weimar am 6. Februar 1919.
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Der Vorsitzende des Rats der Volksbeauftragten, Friedrich Ebert, bei der Eröffnungsrede der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung im Nationaltheater in Weimar am 6. Februar 1919.
Parlament statt Räte
Es ist eine besondere Wahl, nicht nur, weil erstmals Frauen an die Urne dürfen: Aus der Wahl vom 19. Januar 1919 geht die Weimarer Nationalversammlung hervor, die die erste effektive demokratische Verfassung für Deutschland erarbeitet.

Besonders hoch ist die Wahlbeteiligung nicht - zumindest nicht aus damaliger Sicht: 83 Prozent der deutschen Männer und - erstmals - Frauen über 20 Jahren gehen an die Urnen, als am 19. Januar 1919 die Mitglieder der Verfassunggebenden Nationalversammlung gewählt werden. Das ist weniger als bei der letzten Reichstagswahl des gerade untergegangenen Kaiserreichs. Nach der Novemberrevolution und dem Sturz des Kaisers geht es um die erste demokratische Verfassung für Deutschland.

Es soll schnell gehen mit der Wahl, das ist dem SPD-Mann Friedrich Ebert, dem Vorsitzenden der provisorischen Regierung, wichtig. Nach der Revolution befand sich Deutschland in einem rechtlichen Schwebezustand. Selbst in der provisorischen Regierung herrschte keine Einheit darüber, ob Deutschland künftig von Parlamenten oder von Räten regiert sein solle. Die SPD war für ein parlamentarisches, die USPD - eine linke Abspaltung der Sozialdemokraten - für das Rätesystem.

Aber Ebert und andere SPD-Leute haben Angst, die radikale Linke könne die Revolution noch weiterdrehen. Zwei Wochen vor der Wahl war der "Spartakusaufstand" ausgebrochen. In ihm kämpfte die KPD - erst kurz zuvor aus dem "Spartakusbund" genannten linken Flügel der USPD hervorgegangen - für eine Räterepublik. Die SPD griff bei der Niederschlagung des Aufstands auf die Freikorps zurück - Verbände ehemaliger Frontsoldaten, durch den Krieg brutalisiert und stramm rechtsradikal.

Rosa Luxemburg, ermordet in Berlin am 15.01.1919.
Viele Menschen sterben. Am 15. Januar werden die KPD-Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet.

SPD-Mann Gustav Noske, in der provisorischen Regierung verantwortlich für das Militär, gilt vielen als Schuldiger für die Morde - er soll sie befohlen oder wenigstens gebilligt haben. "Ich halte das aber für unwahrscheinlich", wendet Martin Göllnitz ein, Historiker der Uni Mainz. "Noske war zwar ein harter Hund, aber das allein ist nicht Beweis oder auch nur Indiz genug." Die einzige Quelle, die auf Noske hinweise, sei ein Brief von Waldemar Pabst - jenes Offiziers, der Liebknecht und Luxemburg erschießen ließ. "Meine Vermutung ist, dass es vorauseilender Gehorsam von Pabst war", sagt Göllnitz. Hinterher habe Pabst die Verantwortung dann an Noske abschieben wollen.

Am 6. Februar treten die 423 Mitglieder der Nationalversammlung, darunter erstmals auch 37 Parlamentarierinnen, im Weimarer Nationaltheater zusammen. Thüringen begeht den 100. Jahrestag dieses Jahr mit einem Festakt in Weimar, die Festrede hält Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Ebert bekräftigte am 6. Februar 1919 noch einmal, dass seiner Überzeugung nach nur die parlamentarische Demokratie eine Zukunft biete, "ohne das Reich und sein Wirtschaftsleben zugrunde zu richten". Seine SPD hat den größten Anteil der Sitze errungen. Die USPD erhielt bei der Wahl gerade mal 7,6 Prozent der Stimmen, die KPD boykottierte sie gleich ganz. Damit ist endgültig klar, dass das Rätesystem in Deutschland keine Zukunft hat.

Weimar sei aus zwei Gründen Tagungsort gewesen, schreibt der Historiker Heinrich August Winkler: Er sollte dem Ausland signalisieren, dass nach dem militaristischen Kaiserreich nun ein anderes, ein humaneres und zivileres Deutschland den Ton angebe, das Deutschland Goethes und Schillers. Und es waren Sicherheitsbedenken, die Weimar gegenüber Berlin den Vorzug gaben.

Am 31. Juli 1919 nehmen die Abgeordneten die Weimarer Verfassung mit großer Mehrheit an - die erste demokratische Verfassung für Deutschland. Frieden ist damit aber noch nicht eingekehrt. Bis 1923 erschüttern immer wieder Gewaltausbrüche die junge Republik.

Gruppenbild der Regierungsmitglieder der ersten Nationalversammlung am 06.02.1919 in Weimar. V. l. n. r., Otto Landsberg (SPD), Philipp Scheidemann (SPD), Gustav Noske (SPD), Friedrich Ebert (SPD) und Rudolf Wissell (SPD).

Am 12. März 1920 marschieren Truppen unter den Generälen Wolfgang Kapp und Walther Freiherr von Lüttwitz nach Berlin. Kapp erklärt sich zum Reichskanzler. Die Reichswehr lehnt es ab, den Militärputsch zu bekämpfen. Er bricht dennoch zusammen, weil ein Generalstreik Berlin lahmlegt und Beamte sich weigern, Kapps Befehlen zu gehorchen.

Während des Kapp-Lüttwitz-Putschs bildet sich eine "Rote Ruhr-Armee", die bis Ende März das gesamte Ruhrgebiet unter ihre Kontrolle bringt. Diesmal jedoch lässt sich die Reichswehr bereitwillig einsetzen. Sie schlägt bis zum 12. April den Aufstand nieder, rund 1.300 Menschen sterben dabei.

Als Deutschland mit Reparationszahlungen in Rückstand gerät, besetzen französische und belgische Armee am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet. Daraufhin beginnt der "Ruhrkampf": Streiks und passiver Widerstand der Verwaltung. Freikorps und Kommunisten begehen Anschläge. Am 9. November 1923 versuchen Adolf Hitler und Erich Ludendorff in München einen Umsturz. Die Polizei schlägt den dilettantischen NSDAP-Putsch jedoch schnell nieder.

Die Weimarer Verfassung weist zwar einige Schwächen auf, zum Beispiel die starke Stellung des Reichspräsidenten, der per Notverordnung am Parlament vorbeiregieren oder ihn gleich ganz auflösen kann. Zugleich aber sind Grundrechte und Gleichberechtigung in ihr verankert und Arbeitnehmerrechte festgeschrieben. Ab 1923 kommt die Weimarer Republik zur Ruhe. Die Wirtschaft prosperiert, das Verhältnis zu den Alliierten entspannt sich. Die "Goldenen Zwanziger" brechen an. Das Scheitern der Republik ist also keineswegs programmiert gewesen.