Ja, ich will - am liebsten in Weiß und in einem Schloss

Immer mehr Brautpaare wünschen sich die "perfekte Hochzeit", auch auf dem Standesamt.
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Auch bei einer standesamtlichen Hochzeit erwarten die Brautleute, dass der Standesbeamte fast so redet wie ein Pfarrer und, dass die Dekoration wie im Film gestaltet ist.
Ja, ich will - am liebsten in Weiß und in einem Schloss
Evangelische Enklave im niederbayerischen Ortenburg ist bei Brautpaaren beliebt
Im weißen Kleid vor der Schlosskulisse heiraten: Immer mehr Brautpaare wünschen sich die "perfekte Hochzeit". Was die Liebenden darunter verstehen und wie viel Mühe die Gestaltung inzwischen kostet, erlebt Standesbeamtin Brigitte Augenthaler im niederbayerischen Ortenburg.
13.08.2018
epd
Gabriele Ingenthron

Die Kulisse ist filmreif: Das Schloss Ortenburg im niederbayerischen Dekanat Passau liegt hoch oben über einem Flusstal - die perfekte Umgebung für eine Landhochzeit. Seit 2002 bietet die Marktgemeinde Trauungen im gräflichen Empfangssaal und in der Schlosskapelle an. Wenn es die Idee noch nicht gäbe, müsste sie erfunden werden: Fast 700 Brautpaare ließen sich in 15 Jahren dort trauen. "Wir haben etwa 80 Trauungen im Jahr", sagt Standesbeamtin Brigitte Augenthaler zu einer Gruppe von Theologen. Ein Drittel der Trauungen finde noch im Rathaus statt, zwei Drittel bevorzugen das Schloss. 

Die Standesbeamtin nennt es den "Sissi-Effekt": Das Standesamt in der Heimatgemeinde ist zu klein, zu kahl und zu nüchtern, deshalb werde das Schloss gewählt. Die Brautpaare kommen nicht nur aus den umliegenden Städten und Gemeinden, sondern auch aus München, Nürnberg, Hamburg oder Stuttgart. Am 18. August 2018 hat Augenthaler wieder alle Hände voll zu tun. Wegen der Schnapszahl traut sie an diesem Tag gleich fünf Paare. Mehr sollen es nicht werden. "Die Paare wollen auch keine gestresste Standesbeamtin."

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Die Vorstellungen vom schönsten Tag des Lebens haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt, erklärt Augenthaler. Film, Fernsehen und Internet hätten ihren Anteil daran und prägten den Geschmack der Brautleute. Die standesamtliche Trauung werde vom Brautpaar "perfekt und mit riesigem Aufwand" vorbereitet: weißes Kleid, schwarzer Anzug, Lieblingslieder, Brautkerze, Luftballons, Tauben, Sektumtrunk, Spalierstehen der Freunde: "Das hat sich alles mehr oder weniger zum Standesamt verlagert", sagt Augenthaler. Was früher zehn Minuten in Anspruch nahm, dauert heute mindestens eine Stunde.

Den Kern der Zeremonie bildet die Traurede. Augenthaler, die sich selbst als leidenschaftliche Standesbeamtin bezeichnet, verwendet viel Zeit und Energie auf deren Vorbereitung. Sie bittet das Paar vorab um dessen persönliche Liebesgeschichte, das erste Kennenlernen und wie es dann weiterging, um darauf in der Traurede einzugehen. "Die Brautleute erwarten, dass man als Standesbeamter fast so redet wie ein Pfarrer." Irritierend findet sie das nicht: "60 von 80 Paaren pro Jahr gehen anschließend nicht mehr in die Kirche."

Hohe Erwartungen an die standesamtliche Trauung

In Zeiten, in denen Paare nicht mehr kirchlich heiraten wollen oder können, weil sie konfessionslos sind, werde nach einer neuen Sinngebung gesucht. "Deshalb wird schon aus dem Standesamt ein großer Event gemacht", sagt Augenthaler. Und weil all das schon eine Menge Geld und Energie verschlingt, spare man sich die kirchliche Hochzeit.

Den Trend zur "Individualisierung der Trauungen" ist auch den Kirchen nicht verborgen geblieben. "Es lastet ein gewaltiger Gestaltungsdruck auf den Brautpaaren", sagt der Passauer Dekan Wolfgang Bub. Weil es das "Top-Fest" werden müsse, reiche ein einziges Vorbereitungstreffen nicht mehr aus. "In der Regel sind es gleich drei." Da würden Musikwünsche, Kirchenschmuck und andere Gestaltungselemente des Gottesdienstes abgesprochen. "Ich lasse relativ viel zu, aber es muss auch irgendwie stimmig sein." Als Beispiel nennt er, dass viele Bräute beim Einzug vom Brautvater geführt werden wollten, wie im amerikanischen Film. "Wenn man dann erklärt, dass mit diesem Ritus die Braut quasi vom Eigentum des Vaters in das Eigentum des Bräutigams übergeben wird, erkennen doch viele, dass es nicht so ideal ist."

Immer mehr spüren die Kirchen auch im gläubigen Niederbayern, dass kirchliche Traditionen am Rückzug sind. Dekan Bub hat sich darüber Gedanken gemacht, aber eine Konkurrenz zu den standesamtlichen Trauungen will er nicht darin sehen. "Nein, ich finde es ehrlicher. Junge Leute sollen sich bewusst entscheiden können: Wollen wir den Segen Gottes haben - oder nicht." In einem Land zu leben, in dem Religionsfreiheit herrscht und eine kirchliche Trauung nicht verordnet wird, schätze er sehr.

Pfarrerin Sabine Hofer übernimmt in Ortenburg den kirchlichen Part der Trauungen. Im Lauf der Jahre habe sie festgestellt, dass Paare, die wirklich kirchlich getraut werden wollen, "es sich sehr gut überlegt und einen Bezug zum Glauben haben". Der äußere Rahmen ließe sich in Gesprächen gut abstimmen. Nur manchmal müsse sie Brautleute "einbremsen", wenn sie "mit überfrachteten Vorstellungen" kämen. So habe einmal eine Brautmutter das Inventar des Kirchenraums derart umgestellt, um ihren Blumenschmuck unterzubringen, "dass ich meine Kirche nicht mehr wiedererkannt habe".

Am schönsten in Erinnerung aber sei ihr die Trauung eines Paares, das schon lange zusammen war, aber den Segen Gottes wollte. Sie hätten keine besonderen Wünsche gehabt. Die Braut sei schön angezogen gewesen. Das sei "eigentlich alles" gewesen, die Trauung habe sie als "besonders intensiv" erlebt und in Erinnerung behalten.