Experte: Junge Flüchtlinge brauchen intensive Betreuung

Ein Erzieher betreut in einem Gemeinschaftsraum der Familienhilfe in Würzburg unbegleitete Flüchtlinge bei den Hausaufgaben.
Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand
Ein Erzieher betreut in einem Gemeinschaftsraum der Familienhilfe in Würzburg unbegleitete Flüchtlinge bei den Hausaufgaben.
Experte: Junge Flüchtlinge brauchen intensive Betreuung
Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge warnt nach dem Axt-Attentat in einem Regionalzug bei Würzburg davor, den Betreuern des mutmaßlich 17-jährigen Attentäters Fehler vorzuwerfen.
20.07.2016
epd
epd-Gespräch: Markus Jantzer

"Bei einem engen Betreuungsverhältnis ist zwar grundsätzlich eine frühzeitige Wahrnehmung von Radikalisierung möglich. Aber leider nicht immer, und über den konkreten Fall in Würzburg wissen wir noch zu wenig", sagte Tobias Klaus vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am späten Montagabend hatte ein junger Flüchtling in einem Zug fünf Menschen mit einer Axt und einem Messer teils schwer verletzt und dabei auf Arabisch "Gott ist groß" gerufen. Die Ermittlungsbehörden stufen die Tat als "politisch motiviert" ein.

Trotz der insgesamt guten Infrastruktur für die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die in Deutschland in den vergangenen Jahren aufgebaut worden sei, lasse sich ein derartiges Attentat nicht vollkommen verhindern, sagte Klaus. Wichtig sei aber, das Betreuungsniveau durch Sozialarbeiter aufrechtzuerhalten und nicht abzubauen, wie es in einigen Bundesländer derzeit aus Kostengründen geschieht. Auch Pflegeeltern, die junge Flüchtlinge in ihrer Familie aufnehmen, könnten genau das Richtige sein, um die Geflohenen psychisch zu stabilisieren. Dazu sei es allerdings erforderlich, dass die Unterbringung dort langfristig angelegt ist.

"Betreuungsvakuum" gefährlich

Es sei falsch, junge Menschen abrupt aus Wohngruppen und Familien herauszunehmen, nur weil sie das 18. Lebensjahr erreicht haben. Oftmals seien sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit noch auf intensive Unterstützung angewiesen. Ein "Betreuungsvakuum" sei außerdem gefährlich, da es nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes Versuche von islamistische Gruppen gibt, dies auszunutzen. Dennoch sei politische Radikalisierung und Gewaltbereitschaft kein spezifisches Flüchtlingsproblem, betonte der Experte. "Als Fachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist uns nichts darüber bekannt, dass sich diese Gruppe besonders oft und besonders schnell radikalisiert", sagte Klaus.

Der Flüchtlingsexperte forderte, die Betreuungsstandards nicht abzusenken, sondern langfristig abzusichern. Wenn 18-Jährige in Unterkünfte mit Vier- oder Sechsbettzimmern ohne Privatsphäre und mit Duschräumen für 50 Personen müssten, sei dies inakzeptabel. Klaus kritisierte außerdem, dass junge Flüchtlinge in manchen Kommunen monatelang auf einen Platz in der Schule warten müssten.

Im Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind mehrere Wohlfahrtsorganisationen zusammengeschlossen.