Verbot von Familiennachzug betrifft mehr Flüchtlinge als angenommen

Verbot von Familiennachzug betrifft mehr Flüchtlinge als angenommen
Nur wenige Syrer sollten von der Aussetzung des Familiennachzugs betroffen sein. Die Praxis zeigt, dass dieses Versprechen nicht eingelöst wird. Allein im Juni erhielten mehr als 10.000 Flüchtlinge nur subsidiären Schutz.

Berlin (epd). Die Aussetzung des Familiennachzugs betrifft offenbar mehr Flüchtlinge als angenommen. Wie aus der aktuellen Asylstatistik hervorgeht, wurde bei Asylentscheidungen im Juni in fast einem Viertel (23,4 Prozent) der Fälle nur subsidiärer Schutz zugesprochen. Anfang des Jahres waren es weniger als ein Prozent der Fälle. Diese Gruppe darf für zwei Jahre keine Angehörigen nach Deutschland holen. Besonders betroffen sind laut Pro Asyl syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Fast jeder zweite von ihnen (46 Prozent) bekam nach am Donnerstag veröffentlichten Berechnungen der Organisation im Juni nur den untergeordneten Schutz zugesprochen.

Pro Asyl sieht darin den "Ausdruck politischer Einflussnahme" auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das über Asylanträge entscheidet. Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte wurde im Asylpaket festgehalten, das am 17. März inkraft trat. Flüchtlingsorganisationen und Kirchen hatten diese politisch lang umstrittene Regelung scharf kritisiert.

Entscheidungspraxis sehr verändert

Das Bundesamt bestätigte auf Anfrage, dass seit dem Asylpaket Anträge syrischer Flüchtlinge nicht mehr im schriftlichen Schnellverfahren entschieden werden. Danach bekamen Syrer in der Regel Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Seit Mitte März wird nun wieder jeder Einzelfall geprüft.

Die Entscheidungspraxis hat sich seitdem offensichtlich sehr verändert. Machten im Januar Entscheidungen für subsidiären Schutz nur 0,4 Prozent, im März 1,8 Prozent aller beendeten Verfahren aus, waren es im April bereits 9,3 Prozent, im Juni nun 23,4 Prozent. Dies ist eine starke Veränderung auch gegenüber der Zeit vor dem großen Andrang vom vergangenen Sommer, als die schriftlichen Verfahren erst eingeführt wurden. Im ersten Halbjahr 2015 wurde der subsidiäre Schutz auch nur in 0,6 Prozent der Fälle vergeben.

Parallel dazu gehen Anerkennungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention aktuell zurück: Im Januar wurde der Schutzstatus noch bei 63,1 Prozent der Entscheidungen vergeben, im April bei rund der Hälfte (48,6 Prozent). Im Juni machten diese Anerkennungen nur noch ein gutes Drittel (36,5) der Entscheidungen aus. Der Anteil abgelehnter Asylanträge blieb dabei monatlich auf gleichem Niveau.

Kritik von Pro Asyl

Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten Asylbewerber, wenn sie aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt werden. Wenn diese Art der Verfolgung nicht gegeben ist, aber dennoch im konkreten Fall Gefahr für Leib und Leben etwa durch Krieg droht, wird subsidiärer Schutz gewährt. Rechtlich waren beide Schutzgruppen in Deutschland nahezu gleichgestellt. Durch die Aussetzung des Familiennachzugs ergibt sich inzwischen aber ein gravierender Unterschied.

Pro Asyl erklärte, es stelle sich nun als falsch heraus, dass insbesondere die SPD davon ausgegangen sei, es würden nur wenige Syrer von der Aussetzung des Familiennachzugs betroffen sein. Damals hieß es, dass sich der Anteil subsidiären Schutzes bei den Entscheidungen auf ähnlichem Niveau bewegen wird wie vor dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen. Die Rede war von einigen hundert Fällen. Allein im Juni waren aber 12.090 Fälle betroffen, davon laut Pro Asyl mehr als 10.000 Syrer.

Nach Angaben des Auswärtigen Amts wurden zwischen Januar 2015 und März 2016 in den Auslandsvertretungen der Region rund 30.000 Visa für den Familiennachzug an Syrer erteilt. Zahlen für das zweite Quartal 2016 liegen noch nicht vor.