Pflege bei Wachkoma: "Für alles ist gesorgt, du bist aufgehoben"

Sommerfest beim Verein "Patienten im Wachkoma".
Foto: Michael Kleinjung
Sommerfest beim Verein "Patienten im Wachkoma".
Pflege bei Wachkoma: "Für alles ist gesorgt, du bist aufgehoben"
Selbst wenn diese Patienten anscheinend nichts mehr mitbekommen: Es genügt nicht, sie zu ernähren und zu waschen. Kommunikation und Berührung sind genauso wichtig, und auch Seelsorge ist möglich. Zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai stellt Karin Vorländer eine Einrichtung für Wachkomapatienten im Bergischen Land vor.

Wachkoma - das weckt Assoziationen an bewusstloses Dahinvegetieren, an menschliche Hüllen, die zwar Schlaf- und Wachphasen haben, Nahrung aufnehmen und verdauen können, aber ansonsten ohne Empfindung und Selbstbewusstsein am Rande des Todes dahindämmern. "Viele Ärzte und Pflegeeinrichtungen geben diese Patienten zu früh auf", beklagt Hrachia Shaljyan, Geschäftsführer des Bergneustädter Verein "Verein Patienten im Wachkoma" (PIW), der seit 1995 die bundesweit einmalige private Einrichtung "Haus Ilona" für bis zu neun Patienten im Wachkoma und deren Angehörige unterhält.

Über 10.000 Menschen fallen jährlich ins Wachkoma. Aufgrund verbesserter medizinischer Möglichkeiten der Reanimation steigt ihre Zahl kontinuierlich an. Herzinfarkt, Schlaganfall oder ein Unfall zählen zu den häufigsten Ursachen für das Wachkoma, von dem Menschen jeden Alters betroffen sein können. Das "Apallische Syndrom", wie das Wachkoma in der Fachsprache heißt, ist ein schlafähnlicher Zustand mit offenen Augen: Der Patient ist zwar wach, kann sich aber nicht für Laien erkennbar äußern oder reagieren.

Oberstes Ziel von Pflege und Therapie ist es, selbst austherapierten Patienten im Wachkoma ein möglichst normales Leben mit einer größtmöglichen Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Ganz bewusst werden deshalb Angehörige in die Pflege und Therapie einbezogen. Die Wachkoma-Patienten sollen nicht – wie es weithin üblich ist – in einem Dauerpflegeheim untergebracht werden. "Wir sind kein Heim, wir bringen sie heim", nennt Mechthild Glunz, Logopädin und Vereinsvorsitzende, das Ziel aller Bemühungen.

In Haus Ilona ist nichts von steriler Krankenhaus-Atmosphäre zu spüren. Hier trägt niemand einen weißen Kittel. An den Wänden der individuell eingerichteten Patientenzimmer hängen Bilder von Angehörigen oder Fußballtrikots, es gibt Kuscheltiere oder andere Gegenstände, die den Patienten in gesunden Zeiten lieb waren.

Leben so normal wie möglich

Die meisten Patienten, die nach Bergneustadt kommen, atmen mit Hilfe einer Kanüle im Hals und sind mit Magensonde und Katheter "pflegefertig" gemacht worden. Bei PIW hat man der dauerhaften Luftröhrenkanüle, deren rasselndes Schnorcheln durch Mark und Bein dringt, den Kampf angesagt. Denn sie verhindert, dass Patienten reden, schreien, schmecken und riechen können. Die Statistik, die Hrachia Shaljyan seit 2002 führt, spricht für sich: "198 von 200 Patienten konnten von der Kanüle entwöhnt werden", berichtet er. Außerdem hat sich herausgestellt, dass 95 Prozent der Patienten die sedierenden Medikamente, die ihre Ansprechbarkeit und Reaktion vermindern, nicht brauchen.

Auch essen sollen die Menschen im Wachkoma so normal wie möglich. Deshalb wird die ansonsten übliche Sondenkost schrittweise abgesetzt und durch normale, pürierte Kost abgelöst, die im Haus frisch zubereitet wird. Wo Patienten (noch) nicht selbst schlucken und kauen können, wird die Magensonde nur in Gang gesetzt, wenn sie sitzen. "Wir essen doch auch nicht im Liegen", ist die einfache Erklärung.

Regelmäßiges Stehen, Training am Fahrrad, Logo-, Physio- und Ergotherapie durch hochspezialisierte Fachkräfte gehören ebenfalls zum Therapieprogramm. Auch eine von Hrachia Shaljyan entwickelte Wasser- Farb- und Klangtherapie "Berührungen im Licht" soll aktivieren und beleben.

Signale wahrnehmen und verstehen

Die jahrzehntelange Pflege und Betreuung von Menschen im Wachkoma hat in dem inzwischen 30-köpfigen Team von PIW die Überzeugung gestärkt, dass Menschen auch im minimalen Bewusstseinszustand des Wachkomas viel mehr wahrnehmen als weithin angenommen. Deshalb wird ihnen eingehende Post vorgelesen, alle Pflege- oder Therapiemaßnahmen werden erklärt. Auch Angehörige werden angehalten, möglichst normal mit ihnen zu sprechen.

Der neue Computer ist da! Es freuen sich (hinten v.r.n.l.): Mechthild Glunz (PIW Vereinsvorsitzende), Helga Lüngen (Geschäftsführerin der ZNS Hannelore Kohl Stiftung), Hrachia Shaljyan (PIW Geschäftsführer), Beatrix Fischer (2.Vorsitzende), Maria Begemann (Kassiererin), vorn: Patient Hans Peter Hönscheid

"Es liegt an uns, ihre Signale zur Kommunikation wahrzunehmen und zu verstehen", sagt der aus Armenien stammende Fachmann Hrachya Shaljyan. Seit einigen Wochen gibt es deshalb in Haus Ilona auch ein computergestütztes Kommunikationssystem, das mit den Augen gesteuert werden kann. Die Augen übernehmen praktisch die Funktion der Computermaus. Als das Gerät Mitte April geliefert wurde, gelang es Patient Hans Peter Hönscheid schon nach wenigen Minuten, per Blick auf den Bildschirm ein Demo-Filmchen anzuklicken. Für Patienten wie ihn könnte das neue Gerät bedeuten, dass sie nach geduldiger Schulung nicht mehr in lähmender Sprachlosigkeit gefangen sind, sondern wieder ihre eigenen Bedürfnisse äußern können.

Sehr, sehr selten gelingt es, einen Menschen wieder ins Leben zurückzuholen bis dahin, dass er wieder in den Arbeitsprozess zurückkehren kann. Der Fall des 19-jährigen Försterlehrlings Benni Jung, der in Bergneustadt entgegen aller Prognosen nach 56 Wochen aus dem Koma erwachte, und seine Freundin, die ihn ständig betreut hatte, mit den Worten "Ich liebe dich" begrüßte, machte bundesweit Schlagzeilen. Er gehört ebenso zu den spektakulären Ausnahmen wie das Erwachen von Andreas Hofmann, der nach acht Monaten und drei Tagen erwachte. "Erzielen lassen sich solche Erfolge nur bei früher Rehabilitation und mit engen sozialen Kontakten", sagt Hrachia Shaljyan.

Seelsorge zwischen den Welten

Um Patienten im Wachkoma so einfühlsam und respektvoll wie möglich begegnen zu können, gab es in Haus Ilona eine spezielle Fortbildung mit dem Diplom-Psychologen Peter Ammann. Er hat sich besonders mit der Begleitung von Menschen in veränderten minimalen Bewusstseinszuständen befasst und bildet regelmäßig Klinik- und Hospizseelsorger weiter. "Neben grundlegenden medizinischen und pflegerischen Maßnahmen brauchen Menschen in stark veränderten Bewusstseinsprozessen unbedingt zwischenmenschliche, therapeutische Begleitung, denn sie gehen durch tiefe innere Prozesse", schildert Ammann seine Erfahrungen, die er als betroffener Angehöriger und als Therapeut in langjähriger Arbeit gemacht hat.

Den oft zu hörenden Satz "Der Patient ist nicht ansprechbar" lässt er nicht gelten. "Nur weil die Sprache versiegt, heißt es noch lange nicht, dass unser Bewusstseinsprozess endet oder wir nicht kommunizieren", sagt Ammann. Selbst kleinste Signale wie Fingerzucken oder das Bewegen der Augen könnten bedeutsam sein. Um sie zu verstehen, brauche es Übung und die Bereitschaft, selbst den kleinsten Wahrnehmungen zu trauen. Die Haltung, mit der Pflegekräfte oder Angehörige einem Menschen in Koma begegnen, sei grundlegend wichtig, unterstreicht der Psychologe.

Auch für die Logopädin Mechthild Glunz hat ihre tägliche Arbeit mit den Patienten eine seelsorgliche Dimension, selbst wenn es kaum möglich ist, Glaubensinhalte zur Sprache zu bringen. "Ich möchte den ganzen Menschen wahrnehmen und in der Begegnung durchscheinen lassen: Für alles ist gesorgt, du bist aufgehoben", umschreibt sie ihre Art "informeller Seelsorge". Bei Atemübungen setzt sie gelegentlich Bach-Choräle ein und nimmt wahr, wie sie zur Entspannungsübung beitragen. "Auch das kann Gebet sein", findet Glunz.

Sinn auch ohne messbaren Erfolg

Das Seelsorgeangebot des evangelischen Ortspfarrers allerdings ist bisher kaum nachgefragt worden. Offenbar stehen erst einmal andere Dinge im Vordergrund. "Die Angehörigen stellen hier kaum die Frage, wieso Gott ihnen dieses Schicksal zumutet. Sie suchen vielmehr praktische Hilfe, wie sie die radikal neue Situation, die ihr gesamtes Leben verändert, bewältigen können", berichtet Mechthild Glunz. Solche Hilfe können Angehörige in einer Selbsthilfegruppe finden. Auch Beratung für den Umgang mit Kassen und Behörden ist wichtig.

Und wenn es trotz allem keine messbaren Fortschritte gibt? Dann gilt in Bergneustadt das Václav Havel-Zitat "Hoffnung ist nicht dasselbe wie Optimismus. Sie ist nicht die Überzeugung, dass etwas klappen wird, sondern die Gewissheit, dass etwas seinen guten Sinn hat – egal, wie es am Ende ausgehen wird."