Loveparade-Katastrophe: Gericht will keinen Strafprozess eröffnen

Loveparade-Katastrophe: Gericht will keinen Strafprozess eröffnen
Die Entscheidung des Landgerichts Duisburg, keinen Strafprozess zum Loveparade-Unglück zu eröffnen, stößt auf Fassungslosigkeit und Unverständnis. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein. Deren Prüfung wird wohl Monate dauern.

Duisburg (epd) Einen Strafprozess zur Duisburger Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten wird es vorerst nicht geben. Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat die Anklage der Staatsanwaltschaft nach mehr als zweijähriger Prüfung nicht zugelassen, wie das Gericht am Dienstag mitteilte (AZ: 35 KLs 5/14). Das zentrale Beweismittel, das Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still, sei nicht verwertbar. Die Entscheidung stieß bei Politikern und Opfervertretern auf Unverständnis. Die Staatsanwaltschaft Duisburg, die vier Mitarbeitern der Veranstalterfirma Lopavent und sechs Bediensteten der Stadt Duisburg unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorwirft, legte sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein.

Kein neues Gutachten

Das Oberlandesgericht kündigte an, dass die Entscheidung über die Beschwerde voraussichtlich mehrere Monate dauern werde und verwies auf den 460-seitigen Beschluss des Landgerichts, die 556 Seiten starke Anklageschrift, die 45.000 Blatt Ermittlungsakten und 963 Stunden Videosequenzen. Die Düsseldorfer Richter können die Entscheidung der Vorinstanz entweder bestätigen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens am Landgericht Duisburg anordnen.

Das Landgericht Duisburg begründete seine Entscheidung mit "gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängel" in Stills Gutachten und Zweifeln an seiner Unparteilichkeit. Unter anderem moniert das Gericht, dass Still sich bei den Unglücksursachen lediglich auf örtliche Begebenheiten beschränke und andere mögliche Ursachen nicht berücksichtige. Nach Ansicht der Richter kommen als Ursachen aber nicht nur Planungs- und Genehmigungsfehler, sondern auch spätere Maßnahmen wie Polizeiketten infrage. Die Einholung eines neuen Gutachtens sei im Zwischenverfahren gesetzlich untersagt, hieß es. Andere tragfähige Beweismittel lägen nicht vor.

Die Staatsanwaltschaft nannte den Gerichtsbeschluss "nicht nachvollziehbar und rechtsfehlerhaft". Der Gutachter habe nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Planung und Genehmigung der Loveparade der Kapazität des Zugangstunnels keine Beachtung geschenkt worden sei. Sprecherin Anna Christiana Weiler kritisierte zudem, dass das Gericht keinen zweiten Gutachter beauftragt und nicht frühzeitig auf seine Bedenken hingewiesen habe.

Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender betonte, das Gericht habe sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. Die Loveparade-Katastrophe "berührt uns alle, auch mich persönlich, und auch die mit der Sache befassten Richterinnen und Richter". Die Vorwürfe der Anklage könnten aber mit den vorgelegten Beweismitteln nicht bewiesen werden.

Komplexes Verfahren

Der Opfer-Vertreter Jörn Teich nannte die Entscheidung katastrophal. "Man hat uns eine lückenlose Aufklärung versprochen, jetzt ist die Aufklärung eine Riesen-Lücke geworden", sagte er dem epd. Der Duisburger Pfarrer Jürgen Widera, der Ombudsmann für die Opfer und Vorstand der Stiftung "Duisburg 24.7.2010" ist, erklärte, es mache fassungslos, dass die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen würden. Die Anwaltskanzlei Baum, Reiter & Collegen, die zahlreiche Nebenkläger vertritt, sprach von einer "Bankrotterklärung" der Justiz.

Hannelore Kraft (SPD), die als Privatperson und nicht als NRW-Ministerpräsidentin sprach, sagte, sie könne die Entscheidung "nur sehr schwer begreifen". Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) erklärte, wer einen geliebten Menschen verloren habe, frage nicht nach Verfahrensfehlern. "Der darf Unverständnis äußern, dass es mehr als ein halbes Jahrzehnt brauchte, um diese Katastrophe aufzuarbeiten, ohne dass am Ende jemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden konnte."

NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) erklärte, er könne die Enttäuschung der Opfer nachempfinden. Zugleich betonte aber, dass es sich um eines der komplexesten Verfahren der Nachkriegsgeschichte handle.

Am 24. Juli 2010 waren bei der Loveparade in Duisburg 21 Menschen wegen einer Massenpanik im Tunnel eines ehemaligen Güterbahnhofes gestorben, über 500 wurden verletzt.