Psychoanalytikerin: Flüchtlinge geben Traumatisierungen an Kinder weiter

Psychoanalytikerin: Flüchtlinge geben Traumatisierungen an Kinder weiter

Flüchtlinge geben ihre Traumatisierungen nach den Worten der Frankfurter Psychoanalytikerin Marianne Leuzinger-Bohleber an ihre Kinder weiter.
02.03.2016
epd
Jens Bayer-Gimm (epd-Gespräch)

Frankfurt a.M. (epd)Viele Flüchtlinge seien extremen Gefühlen von Verzweiflung, Ohnmacht und Hilflosigkeit ausgesetzt gewesen, erklärte die Geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Traumatisierung lasse das Urvertrauen in Menschlichkeit zusammenbrechen und zerstöre psychische Strukturen.

Mehrere Studien des Sigmund-Freud-Instituts unter Einwanderer- und Flüchtlingsfamilien in Frankfurt am Main seit 2003 haben laut Leuzinger-Bohleber die Übertragung von Traumata auf die Kindergeneration erwiesen. Von rund 3.000 Familienangehörigen in schwierigen sozialen Lagen, unter denen viele Elternteile Traumatisierungen mit sich trügen, habe mehr als ein Drittel der Kinder einen "desorganisierten Bindungstyp" aufgewiesen gegenüber sieben Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Grundvertrauen fehlt

Diesen Kindern fehle ein Grundvertrauen, so fühlten sie keine Sicherheit, dass ihnen in einer Gefahr geholfen werde, und sie hätten keine verlässlichen psychischen Strukturen ausgebildet. Viele dieser Kinder laufen nach den Worten der Psychoanalytikerin Gefahr, später suchtabhängig, psychisch krank oder straffällig zu werden.

Auch unter Terroristen wie den Attentätern von Paris seien junge Männer zu finden, die keine psychische Bindungsfähigkeit ausgebildet hätten. Gerade solche Menschen würden von extremistischen Gruppen angezogen, die ihnen eine feste Struktur, soziale Zugehörigkeit und die Befriedigung von Allmachtsfantasien verschafften. Die Frankfurter Studien hätten jedoch auch erwiesen, dass eine psychoanalytische Intervention erfolgreich sei.

Sichere Alltagsstruktur wichtig

Infolge der psychoanalytischen Therapien von Kindern und Familien sowie der Schulung und Supervision der Erzieherinnen sei bei vielen Kindern der Studien die Bindungsfähigkeit gewachsen. Ihr "inneres Chaos" sei Strukturen gewichen, und das Spielverhalten habe sich normalisiert. Aufgrund dieser Erkenntnisse müssten Flüchtlinge rasch eine sichere Alltagsstruktur erhalten und Beziehungserfahrungen machen können, erklärte Leuzinger-Bohleber. Wenn Flüchtlinge den ganzen Tag nichts zu tun hätten, kehrten die traumatischen Erlebnisse wieder zurück.

Vom 4. bis 6. März treffen sich rund 250 Psychoanalytiker, Kindheits- und Jugendforscher aus mehreren Ländern in Frankfurt am Main, um auf einer Konferenz über die Anwendung der Forschungsergebnisse zur Übertragung von Traumata auf die aktuelle Flüchtlingssituation zu diskutieren.