Kardinal Marx warnt vor Dramatisierung der Flüchtlingskrise

Kardinal Marx warnt vor Dramatisierung der Flüchtlingskrise
Die katholischen Bischöfe in Deutschland sehen den Flüchtlingszuzug nach Europa als "großen Testfall der modernen Zivilisation". Er könne gelöst werden mit Sachlichkeit und dem Bemühen um ein gutes Miteinander.

Schöntal (epd)In der Flüchtlingskrise warnt Kardinal Reinhard Marx vor einer Dramatisierung. In einem respektvollen Miteinander sei auch diese Herausforderung zu bewältigen, sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz am Mittwoch im baden-württembergischen Kloster Schöntal. In die politische Debatte müsse Sachlichkeit eintreten, es müsse der Konsens gesucht werden, sagte er vor Journalisten auf der Frühjahrs-Vollversammlung der deutschen Bischöfe. Marx warb für eine "Kultur des Miteinanders und des Gesprächs", die auch einer Verunsicherung in der Bevölkerung entgegenwirken könne.

"Schatz für unsere Gesellschaft"

Flüchtlinge seien keine Bedrohung, sagte Marx, der rechtspopulistische Bewegungen rügte, die Ängste und Verunsicherungen in der Bevölkerung gezielt für ihre "menschenfeindlichen" Ziele ausnutzten. Marx: "Wir benötigen tatkräftiges Engagement statt Untergangsgeraune." Er verwies auf die Hunderttausenden Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit, die sich als "Schatz für unsere Gesellschaft" erwiesen. Marx sagte, aktuell brauchten Flüchtlinge unabhängig von der Frage, ob oder wie lange sie bleiben, Bildung und Arbeit: "Sie müssen etwas mitnehmen können".

Aufgabe der Politik sei, den Krieg in Syrien zu beenden. Gemeinsam müssten Politik und unter anderem die Kirchen zudem in die Nachbarländer Syriens investieren, um Menschen auch dort Chancen zu ermöglichen. Und auch die Menschen, die in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden, seien "nicht aus unserem Verantwortungsbereich entlassen", sagte Marx.

Verharren in Abwehrhaltung

Professor Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück kritisierte, dass Europa sich bisher den Thema Flüchtlinge nur verweigert habe, statt sich damit auseinanderzusetzen. Das Verharren in einer reinen Abwehrhaltung schlage nun zurück: Die Politik habe keine Lösungen bereit. Deshalb müsse Europa rasch Konzepte entwickeln für sich selbst und mit globaler Perspektive.

Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle, Vorsitzender der Migrationskommission der Bischofskonferenz, unterstrich erneut die Position der Bischofskonferenz, dass das Asylrecht als Individualrecht nicht angetastet werden dürfe. Er erteilte auch einer Einschränkung des Familiennachzugs eine Absage, zumal nur sehr wenige Flüchtlinge davon betroffen seien. Die christlichen Grundwerte seien eine tragfähige ethische Orientierungshilfe, um für die Arbeit mit Flüchtlingen "einen gangbaren Weg und eine gemeinsame Akzeptanz" zu finden.

Engagement der katholischen Kirche

Der Sonderbeauftragte der Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, lobte die ökumenische Zusammenarbeit in der Flüchtlingsarbeit. An erster Stelle der Aufgaben stehe derzeit, Wohnraum für Flüchtlinge bereitzustellen, sie seelsorgerlich zu begleiten und ihnen Zugang zu Bildung und Arbeit zu schaffen. Für die langfristige Integration brauche es interreligiösen und interkulturellen Dialog, der vor Ort stattfinde müsse. Die Bischofskonferenz werde zum Abschluss ihrer Vollversammlung Leitsätze zur kirchlichen Flüchtlingsarbeit beschließen.

Im vergangenen Jahr haben die 27 deutschen Bistümer und die kirchlichen Hilfswerke insgesamt mindestens 112 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe eingesetzt. Im Jahr davor waren es noch 73 Millionen Euro gewesen, sagte Kardinal Marx. 2015 wurden mit rund 71 Millionen Euro Initiativen für Flüchtlinge im Inland gefördert und mit rund 41 Millionen Flüchtlingsprojekte in den Krisenregionen. Im Einsatz seien im Bereich der katholischen Kirche etwa 5.100 hauptamtliche Mitarbeiter und mehr als 100.000 Ehrenamtliche.