Forscherruhm dank Schimmelpilz

Forscherruhm dank Schimmelpilz
Es hat unzähligen Menschen das Leben gerettet: das Penizillin, vor 75 Jahren in London das erste Mal angewendet. Dabei begann die Erfolgsgeschichte des ersten Antibiotikums mit einem Fehlschlag: Der Patient überlebte nicht.

London, Frankfurt a.M. (epd)Der winzige Schnitt mit der Rasierklinge endet tödlich. Blutvergiftung. Die Heilkunst der Londoner Ärzte kann das Vordringen von Bakterien in den Körper eines 43-jährigen Polizisten nicht verhindern. Zwar wird er als erster Mensch am 12. Februar 1941 mit Penizillin behandelt. Doch obwohl die Behandlung zunächst Erfolg hat, stirbt der Mann wenig später. Denn das neue Wundermittel ist nach zwei Tagen aufgebraucht, und Nachschub gibt es nicht. Heute gilt das Penizillin als eine der wichtigsten Entdeckungen der jüngeren Medizingeschichte.

Aufgespürt hat es der schottische Mikrobiologe und Arzt Alexander Fleming 1928 durch einen Zufall. Seinen Anteil an der Entwicklung des bahnbrechenden Medikamentes hat der Wissenschaftler stets kleingeredet. Man habe ihn "bezichtigt, das Penizillin erfunden zu haben", sagte er mit dem ihm eigenen Humor 1945 vor Ärzten in Paris, und weiter: "Erfinden ließ sich das Penizillin von keinem Menschen, denn es wurde vor undenklichen Zeiten von einem gewissen Schimmelpilz hervorgebracht."

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben die Mediziner zwar vage Erkenntnisse darüber, wie Infektionen entstehen. Aber ihnen fehlt eine wirksame Behandlungsmethode. Von Bakterien verursachte Krankheiten, wie etwa Lungenentzündung, enden fast immer tödlich.

Fleming stammt aus ärmlichen Verhältnissen

Alexander Fleming wird 1881 im schottischen Lochfield geboren. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen und arbeitet zunächst als Angestellter bei einer Schifffahrtsgesellschaft. Doch durch die Fürsprache seines Onkel wird Fleming am St. Mary's Hospital in London für eine medizinische Ausbildung aufgenommen. Er beendet sein Medizinstudium 1908 und arbeitet fortan in der Klinik als Spezialist für Infektionskrankheiten.

Fleming sucht nach einem Mittel, mit dem sich Wundinfektionen bekämpfen lassen. Vor seinem Sommerurlaub 1928 präpariert er einen Nährboden mit Bakterien des Stammes Staphylokokken. Bei seiner Rückkehr findet der Wissenschaftler eine Petri-Schale vor, die versehentlich nicht im Kühlschrank stand. Die Kultur mit Bakterienkolonien ist von einem blau-grünen Schimmelpilz überzogen.

Fleming macht seine bahnbrechende Entdeckung: Der Pilz produziert eine Flüssigkeit, die das Wachstum von Bakterien sichtbar stoppt. Das Gewächs zählt zu den sogenannten Pinselpilzen, lateinisch "penicillium notatur", woraus später die Bezeichnung Penizillin wird.

Wirkstoff schadet Mensch und Tier nicht

Sein Forscherdrang ist geweckt. Weitere Versuche zeigen, dass der nebulöse Wirkstoff eitererregende Bakterien im Wachstum hemmt und sowohl für Menschen als auch für Tiere ungiftig ist. Trotzdem geht Fleming nicht den nächsten entscheidenden Schritt und versucht, ein Medikament zu gewinnen. Zwar schreibt er Artikel über seine Ergebnisse in Fachpublikationen, doch kaum jemand zeigt daran Interesse.

Der Durchbruch gelingt erst rund zehn Jahre später Oxforder Wissenschaftlern um Howard Florey und Ernst Boris Chain, der aus Berlin auf die Insel geflüchtet ist. Sie gewinnen in aufwendiger Laborarbeit die wirksamen Komponenten des Pilzsaftes. Schließlich schaffen es die Forscher, den Wirkstoff zu isolieren und 1941 klinisch zu testen - Voraussetzung für die industrielle Massenproduktion.

Ab 1944 steht Penizillin zunächst nur für US-Streitkräfte zur Verfügung und dient dem Kampf gegen Wundeiterung. Ärzte feiern es als neues Wundermittel, weil es viele verwundete Soldaten vor dem Tod bewahrt. Auch bei vielen Infektionskrankheiten führt das Präparat zu Heilungserfolgen. Ab März 1945 gibt es Penizillin in den USA für jedermann im Drugstore.

In Deutschland ist der Rückgriff auf das Naturprodukt zunächst verpönt. Wohl auch, weil einheimische Pharmafirmen alle Patente auf einen künstlich erzeugten Stoff gegen bakterielle Infektionen halten, das Sulfonamid. Das NS-Regime erkennt erst spät die Bedeutung des neuen Mittels und befiehlt die Aufnahme eigener Forschungen. In den Frankfurter Hoechst-Werken gelingt im Oktober 1944 die erste Serienfertigung von Penizillin, wenn auch nur in kleiner Stückzahl. Dann versinken die Produktionsstätten bei Bombenangriffen in Schutt und Asche.

1945 erhielt der Forscher den Nobelpreis für Medizin

Verspätete Anerkennung erfährt Alexander Fleming im Jahr 1945. Für seine Grundlagenforschung erhält er zusammen mit Howard Florey und Ernst Chain den Nobelpreis für Medizin. Der Pionier stirbt am 11. März 1955 in London an einem Herzinfarkt.

"Alexander Fleming hat mit seiner Erfindung des Penizillins sicherlich Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschen das Leben gerettet", sagt Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Sanofi in Deutschland, zu dem Hoechst heute gehört. Penizillin wirke jedoch nicht mehr bei allen bakteriellen Infektionen wie noch vor 75 Jahren. Es haben sich, wie gegen viele andere Antibiotika auch, Resistenzen entwickelt. "Und diese machen uns bei der Therapie das Leben schwer", erklärt der Professor. Es müsse auch heute das Ziel sein, neue Antibiotika zu finden.

"Durch die Anwendung von Antibiotika erzeugen wir einen Selektionsdruck und fördern damit die Entstehung und Weiterverbreitung von Resistenzen", sagt Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. Die Gabe von Antibiotika müsse deshalb immer kritisch hinterfragt werden: "Die Medikamente dürfen nur in bestimmten, medizinisch notwendigen Fällen zum Einsatz kommen."