Jürgen Micksch wird 75

epd-bild / Thomas Rohnke
Pro Asyl-Gründer Jürgen Micksch wird 75.
Jürgen Micksch wird 75

Er stand mit Ingrid Bergman und Curd Jürgens vor der Kamera. 1980 prägte er den Begriff «multikulturelle Gesellschaft», sechs Jahre später gründete er die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. An diesem Mittwoch wird Jürgen Micksch 75 Jahre alt.
20.01.2016
epd
Dieter Schneberger (epd)

Darmstadt (epd)Jürgen Micksch ist ein Diplomat in Sachen Menschenrechte. Immer freundlich und charmant im Auftreten, aber beinhart und zielgerichtet in der Sache. Seit mehr als 40 Jahren engagiert sich der im Odenwald lebende Mann mit dem vollen weißen Haar und dem exakt gestutzten Bart für ein friedliches Zusammenleben von Einheimischen, Migranten und Flüchtlingen. Er ist Gründer und Ehrenvorsitzender von Pro Asyl und Geschäftsführer des Abrahamischen Forums, des Interkulturellen Rates und der Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus.

Vom Flüchtlingskind zum Kinderstar

Es könnte wohl kaum jemand berufener über das Thema Flucht und Vertreibung reden als er. Gerade vier Jahre alt, muss er mit seinen Eltern vor der heranrückenden Roten Armee aus dem niederschlesischen Breslau fliehen. Die Familie schlägt sich durch nach Österreich und Niederbayern, wo sie von den Einheimischen nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird. Später geht es weiter nach München, wo der Vater eine Konditorei aufmacht.

Die 1950er Jahre nehmen für das Flüchtlingskind eine wundersame Wendung. Bei einem Vorsprechen für eine Schultheateraufführung wird der Neunjährige unter 40 Bewerbern ausgewählt und zum Kinderstar aufgebaut. Er gibt den "Jungen" in Fritz Kortners Inszenierung von "Warten auf Godot" an den Münchener Kammerspielen und den HJ-Führer Heini in dem Film "08/15". Er spielt mit dem "normannischen Kleiderschrank" Curd Jürgens, mit Heinz Rühmann und Ingrid Bergman.

Mit 19 hat Micksch die Nase voll von der Glitzerwelt, "auch weil ich die Armut vieler Schauspieler hautnah miterlebt habe". Er studiert Philosophie, Theologie und Soziologie unter anderem, "weil ich mich kritisch mit der Botschaft des Evangeliums auseinandersetzen wollte". Anschließend schlüpft er in jene Rolle, die ihm, so seine Überzeugung, am besten zu Gesicht steht: die des Seismographen für fremdenfeindliche und rassistische Tendenzen, des Kämpfers gegen Vorurteile und Stereotype, des Moderators und Mediators zwischen Politik und Religion, des Mitgestalters von Integration.

Schon 1975 ruft Micksch den "Tag des ausländischen Mitbürgers" ins Leben, von 1974 bis 1984 baut er als damals jüngster Oberkirchenrat die Ausländerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf und formuliert 1980 die These von der Bundesrepublik als einer "multikulturellen Gesellschaft". Das trägt ihm Kritik und Häme von allen Seiten ein, nicht zuletzt aus der Kirche. Trotzdem tritt er noch zweimal in ihren Dienst: von 1984 bis 1993 als stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing und anschließend bis 2001 als Interkultureller Beauftragter in Hessen-Nassau.

1986 initiiert Micksch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl. "Die Stimmung gegen Flüchtlinge und Asylsuchende war Mitte der 1980er Jahre vergiftet", erinnert er sich. "Mit der wachsenden Zahl der Hilfesuchenden kochte die fremdenfeindliche Stimmung immer mehr hoch und gipfelte 1992 in dem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen." Dass im vergangenen Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, wundert ihn, den global Denkenden, nicht, "denn Flüchtlinge sind Botschafter für Veränderungen". Und die Welt ist in rasantem Wandel begriffen.

Fit mit Gymnastik

Jürgen Micksch will auch künftig diesen spannenden Transformationsprozess mitbewegen und mitgestalten. Die Akzente werden sich allerdings ein wenig verschieben. "Ich werde mich künftig stärker für die Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus und auch für das Abrahamische Forum engagieren", kündigt der Nimmermüde an. Das Forum baue derzeit sogar in Ägypten, Israel und Marokko sogenannte abrahamische Teams aus Juden, Christen und Muslimen auf, um ein friedliches interreligiöses Zusammenleben zu stärken.

"Am Herzen" liegt Micksch auch das Projekt "Religionen für die biologische Vielfalt", das im vergangenen Jahr vom Abrahamischen Forum gestartet worden war. Darüber hinaus möchte er erreichen, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland in ihrer Schulzeit eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee besuchen. Als Projektpartner steht die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen bereit, Gespräche mit den Kultusministerien der Länder sind in Planung.

Fit hält sich Jürgen Micksch, dessen Vater noch mit 95 in seiner Confiserie Pralinen verkaufte, mit "Gymnastik und einer halben Stunde spazieren gehen am Tag". Und mit den geliebten Ski-Urlauben im Winter und den Bergtouren im Sommer.