TV-Tipp des Tages: "Esmas Geheimnis" (3sat)

TV-Tipp des Tages: "Esmas Geheimnis" (3sat)
TV-Tipp des Tages: "Esmas Geheimnis", 20. Oktober, 23.10 Uhr auf 3sat
Sarajewo, 2006. Die Wunden des Krieges sind immer noch unübersehbar. Doch für die meisten Menschen geht das Leben längst wieder seinen gewohnten Gang. Die zwölfjährige Sara ist ein junges, aufgewecktes Mädchen, dass schon mal die Schule schwänzt und seit Kurzem seinen ersten Freund hat.

Der Krieg ist für sie Teil einer Vergangenheit, die nicht die ihre ist. Nur gelegentlich macht sich diese Vergangenheit in der Gegenwart breit: wenn Sara in ihrer Klasse mit anderen Streit über die Frage bekommt, ob ihr Vater wirklich ein "Schechid" war, ein Soldat, der den Heldentod gestorben ist. Als sie für eine Klassenfahrt eine entsprechende Bestätigung braucht, weil die Reise dann deutlich billiger wird, benimmt sich ihre Mutter Esma auf einmal ganz merkwürdig.

Auf deutsch heißt dieser Spielfilm, für den die Bosnierin Jasmila Zbanic bei der Berlinale mit einem "Goldenen Bären" ausgezeichnet wurde, "Esmas Geheimnis". Im Original trägt er den schlichten Titel "Grbavica". Man muss sich schon intensiv mit der Geschichte des jugoslawischen Bürgerkriegs beschäftigt haben, um zu wissen, warum "Grbavica" für Bosnier ein Wort des Schreckens ist. Grbavica ist ein Stadtteil von Sarajewo, der während des Krieges von der serbisch-montenegrinischen Armee in ein Kriegslager umgewandelt wurde. Die bosnische Zivilbevölkerung muss hier namenloses Grauen erlebt haben. Massenvergewaltigungen waren ausdrücklich Teil der serbischen Kriegsstrategie, um den Gegner zu erniedrigen.

Die 1974 geborene Regisseurin lebte damals ganz in der Nähe. Kein Wunder, dass sie noch heute in Grbavica "etwas Unausgesprochenes, Unaussprechliches, Unsichtbares" spürt. Diesen Horror filmisch umzusetzen ist eigentlich unmöglich, und Zbanic versucht es auch gar nicht erst. Statt dessen zeigt sie den Alltag einer Frau, die täglich aufs Neue versucht, den Schatten der Vergangenheit zu entkommen. Dass ihr das nie gelingen wird, weil ausgerechnet die eigene Tochter das Grauen immer wieder heraufbeschwört, macht "Esmas Geheimnis" zu einem unendlich traurigen Film. Und doch gelingt es Zbanic, ihre Geschichte versöhnlich enden zu lassen, obwohl das eigentlich unmöglich ist.

Lange, fast quälend lange bleibt offen, was Esma so bedrückt. Natürlich ahnt man früh, dass es sich um ein Kriegstrauma handeln muss: Esma hat ein mehr als zwiespältiges Verhältnis zu Männern, deren aggressives Auftreten sie sichtlich verabscheut. Als sie sich die Bluse auszieht, sieht man Spuren von Misshandlungen auf ihrem Rücken. Außerdem besucht sie immer wieder mal die Sitzungen einer Frauengruppe. Doch es bedarf erst einer Schocktherapie, zu der ausgerechnet Sara sie provoziert, um sich endlich dem erlittenen Horror zu stellen.

Mirjana Karanovic, bekannt geworden durch die Filme Emir Kusturicas ("Papa ist auf Dienstreise"), spielt Esma mit so viel Fragilität, dass man beinahe den Atem anhalten möchte. Fast noch eindrucksvoller aber ist die Leistung der jungen Luna Mijovic (Sara), die ihr eine ebenbürtige Partnerin ist. Die von Hassliebe geprägten Szenen zwischen Mutter und Tochter steuern unheilvoll auf einen dramatischen Höhepunkt zu, zumal Sara irgendwann auch noch plötzlich eine Pistole in der Hand hat.

Karanovic ist übrigens Serbin, weshalb sie in einer Belgrader Zeitung prompt als "Hochverräterin" geschmäht wurde. In serbischen Städten wurde der Film aus Angst vor Übergriffen gar nicht erst gezeigt. Hierzulande wird ist die Kinoaufführung von Aktionen der Initiative "medica mondiale" begleitet worden, einem weltweiten Netzwerk, das sich für die Rechte von Frauen einsetzt, die in Kriegsgebieten verschleppt und vergewaltigt worden sind.