Deutschland kann EU-Ausländern Hartz IV verweigern

epd-bild / Norbert Neetz
Deutschland darf EU-Bürger von Hartz-IV-Leistungen ausschließen.
Deutschland kann EU-Ausländern Hartz IV verweigern
EU-Richter: Keine Einzelfallprüfung nötig
EU-Bürger haben kein Recht auf Hartz IV, wenn sie in Deutschland kurz oder noch gar nicht gearbeitet haben. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Das Urteil trifft auf unterschiedliche Reaktionen.

Luxemburg, Berlin (epd)Deutschland darf EU-Bürger, die in der Bundesrepublik nur kurz oder noch gar nicht gearbeitet haben, vom dauerhaften Bezug von Hartz-IV-Leistungen ausschließen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Dienstag in einem mit Spannung erwarteten Grundsatzurteil entschieden. Die höchsten EU-Richter bestätigten damit die bisher in der Bundesrepublik geltende Regelung. Demnach können EU-Ausländer, die nach einer Berufstätigkeit von weniger als einem Jahr arbeitslos wurden, höchstens sechs Monate lang Hartz IV bekommen. (AZ: C-67/14)

Die EU-Richter bekräftigten auch, dass die Aufnahmeländer Migranten vollständig von Sozialhilfeleistungen ausschließen können, wenn sie überhaupt noch keinen Job angetreten haben. Das gilt auch dann, wenn die Menschen ernsthaft nach Arbeit suchen. Geklagt hatte eine Schwedin mit bosnischen Wurzeln, die 2010 mit ihren Kindern nach Deutschland gekommen war. Sie hatte in mehreren Kurzzeit-Jobs gearbeitet und schließlich Hartz IV beantragt. Das Jobcenter Berlin-Neukölln hatte der Familie nach einem halben Jahr die Unterstützung gestrichen. Das Bundessozialgericht hatte den Fall zur Klärung an den EuGH weitergereicht.

Keine individuelle Prüfung erforderlich

Die EuGH-Richter schlugen mit ihrem Urteilsspruch einen schärferen Kurs ein als der EU-Generalanwalt Melchior Wathelet, der im März sein Rechtsgutachten zu dem Streit vorgelegt hatte. Wathelet hatte die Auffassung vertreten, dass es im Fall kurzzeitig Beschäftigter eine Einzelfallprüfung geben solle. Nach seiner Lesart hätte sich zum Beispiel positiv ausgewirkt, dass zwei Kinder der Schwedin zum fraglichen Zeitpunkt in Deutschland in die Schule gingen. Dies deute auf eine "tatsächliche Verbindung" zum Aufnahmeland hin, schrieb Wathelet damals.

Der EuGH betonte jedoch am Dienstag, dass eine individuelle Prüfung in einem Fall wie dem vorliegenden nicht erforderlich sei - das EU-Recht selbst sei klar genug. Das Luxemburger Urteil knüpft an eine Gerichtsentscheidung an, die die Richter im November 2014 gefällt hatten. Damals hatte das Gericht den Fall einer in Leipzig lebenden Rumänin zu prüfen, die sich - anders als die Klägerin aus Schweden - nicht erkennbar um Arbeit bemüht hatte. Auch hier hatte der EuGH den Ausschluss von Hartz IV für rechtens erklärt.

Das Bundesarbeitsministerium in Berlin begrüßte den Richterspruch. Der EuGH habe "die Rechtsauffassung der Bundesregierung in allen Punkten bestätigt", sagte eine Sprecherin. Auch der Deutsche Städtetag begrüßte die Entscheidung. Die bestehenden Einschränkungen seien sinnvoll, "um die Akzeptanz und Tragfähigkeit der Sozialleistungssysteme auch im europäischen Kontext zu sichern", erklärte der Verband. Zustimmung kam auch aus Reihen der Union und der SPD im Bundestag und im Europaparlament.

"Existenzielle Notlage"

Von einem "überraschend restriktiven" Urteil sprach hingegen die Diakonie Deutschland. Die Entscheidung "belässt viele Menschen, die in Deutschland auf Arbeitsuche sind, in einer existenziellen Notlage ohne jede Unterstützung", warnte Vorstandsmitglied Maria Loheide in Berlin. Sie verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht 2012 das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für alle Menschen bestätigt habe. "Dies muss auch für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger gelten." Sie hoffe auf ein weiteres Urteil des Verfassungsgerichts in diesem Sinn, sagte Loheide.

Auch die Grünen im Bundestag und im Europaparlament zeigten sich bestürzt. Es sei ein Gebot der Sozialstaatlichkeit, allen Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck. Das Urteil gehe außerdem nicht auf schulpflichtige Kinder ein, die eine Grundsicherung dringend brauchten, unterstrich er.