Ägyptologe Assmann warnt vor Abwertung des Alten Testaments

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Ägyptologe Assmann warnt vor Abwertung des Alten Testaments
Evangelische Theologen streiten um den ersten Teil der Bibel: Gehört das Alte Testament zum biblischen Kanon oder nicht? Jetzt meldet sich der bekannte Religionswissenschaftler Jan Assmann zu Wort. Er warnt vor einer Abwertung des Alten Testaments.

Der Berliner Theologieprofessor Notgar Slenczka bekommt Gegenwind: Seine Überlegung, das Alte Testament nicht mehr dem biblischen Kanon zuzurechnen, findet immer mehr Kritiker. Nun warnt auch der bekannte deutsche Ägyptologe Jan Assmann vor einer Abwertung des ersten Teiles der Bibel. "Mit dem Verlust des Alten Testaments verlieren die Christen nahezu alles", sagte der Religionswissenschaftler in einem Interview mit der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt". Eine Kirche, die sich vom Alten Testament verabschiede, laufe Gefahr, zur Sekte zu werden.

Assmann, der vor kurzem ein Buch über den "Exodus" veröffentlicht hat, reagierte auf den Berliner Theologieprofessor Notger Slenczka, der in einem wissenschaftlichen Aufsatz die Zugehörigkeit des Alten Testamentes zum biblischen Kanon infrage gestellt hatte.

Assmann betonte hingegen: Ohne das Alte Testament sei das Neue Testament nicht zu verstehen. "Das Alte Testament wird im Neuen ständig zitiert." An Slenczka gewandt sagte der emeritierte Professor: "Für mein Verständnis steht das Neue Testament auf den Schultern des Alten Testaments, und ich würde mich hüten, die Basis zu schwächen, die mich trägt."

Slenczka, der an der Berliner Humboldt-Universität Systematische Theologie lehrt, hatte bereits 2013 in einem wissenschaftlichen Aufsatz die Zugehörigkeit des Alten Testamentes zum biblischen Kanon infrage gestellt. Er berief sich dabei auf den Theologen Adolf von Harnack (1851-1930), der das Alte Testament theologisch den sogenannten Apokryphen zurechnete. Damit sind die jüdischen Texten gemeint, die nicht dem biblischen Kanon zugeordnet werden.

Seine These rief bei Theologen und in Kirchenkreisen Kritik hervor. Bereits am Freitag hatte Landesbischof Markus Dröge vor der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Slenczka öffentlich kritisiert. Der Bischof sagte, der umstrittene Text Slenczkas widerspreche dem Bekenntnis der evangelischen Kirche und schere aus der anerkannten Lehrtradition aus. Die tiefe Verwurzelung im jüdischen Glauben habe schon immer grundlegend zum christlichen Glauben gehört.

Auch beim Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit war Slenczkas Position auf Widerspruch gestoßen. Dessen evangelischer Präsident, der hessen-nassauische Pfarrer Friedhelm Pieper, kritisiert, Slenczka verlasse mit seinen Thesen einen "Grundkonsens christlicher Theologie", seine Abhandlung stelle eine "Neuauflage des protestantischen Antijudaismus" dar.

"Quelle und Norm" der evangelischen Theologie

Slenczka wehrt sich nun in der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" gegen den Vorwurf des Antijudaismus: "Ich kann dagegen überhaupt nicht verstehen, was an meiner These antijudaistisch sein soll", sagte der Theologieprofessor und fügt hinzu: Die Texte des Alten Testaments richteten sich allerdings an das jüdische Volk. "Wenn wir sie lesen, interpretieren wir sie von unserer Lebens- und von unserer christlichen Gotteserfahrung her", argumentiert Slenczka. "Aber erst einmal sind diese Texte an das gegenwärtige Judentum gerichtet."

Kritik hatte Slenczka auch von fünf Theologieprofessoren der Humboldt-Universität bekommen. Sie nannten Slenczkas Äußerungen zur Bedeutung des Alten Testaments für die christliche Theologie, zum Verhältnis von Altem und Neuem Testament sowie zur Kanonizität des Alten Testaments "historisch nicht zutreffend und theologisch inakzeptabel". Es stehe außer Zweifel, dass die Hebräische Bibel ebenso wie das Neue Testament "Quelle und Norm" der evangelischen Theologie sei und bleibe, schreiben die Humboldt-Professoren Christoph Markschies, Cilliers Breytenbach, Wilhelm Gräb, Rolf Schieder und Jens Schröter.