Workshops gegen den Dschihad: "Wir brechen das Eis"

Foto: Cornelius Wüllenkemper
Workshops gegen den Dschihad: "Wir brechen das Eis"
Radikale Islamisten aus dem Umfeld der salafistischen Strömung werben in Deutschland Jugendliche für den "Dschihad" in Syrien und im Irak an. Wie können sie geschützt werden? Die "Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus" engagiert sich intensiv für die politische und religiöse Aufklärung junger Menschen an den Schulen.

Wer dieser Tage auf dem Kottbusser Damm, der Hauptverkehrsachse zwischen den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln, unterwegs ist, kann miterleben, wie auf offener Straße zum Kampf für den so genannten "Islamischen Staat im Irak und in Syrien" aufgerufen wird. Zur Mittagzeit erklärt ein etwa 30jähriger Mann in Baseball-Cap und Jogginghose an einer Straßenecke zwei jüngeren Zuhörern auf dem Gehweg, der "IS" sei ein "freier Staat, weil er keinerlei außenpolitische Verpflichtungen" habe.

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Zuhörer von außen sind bei diesem Gespräch freilich unerwünscht. Sobald man sich der Gruppe nähert, wirft der Anwerber einen drohenden Blick, die beiden Zuhörer wenden sich verlegen ab. Das Werben um den "Dschihad" im mittleren Osten ist längst im Berliner Alltag angekommen, so scheint es.

Laut Verfassungsschutz gibt es unter den etwa vier Millionen Muslimen in Deutschland derzeit rund 40.000 Islamisten (ein Prozent), von denen etwa 2500 als gewaltbereit eingeschätzt werden. Die Salafisten geben vor, Lösungen für jede Lebensfrage zu bieten. "Das Schlimme ist: Man wird ja richtig angequatscht. Wenn ich gläubig bin und in die Moschee gehen möchte, dann tue ich das einfach. Jeder interpretiert den Koran anders. Ich möchte mir selbst ein Bild machen, aber nicht auf der Straße damit bedrängt werden. Ich fühle mich da angegriffen."

Die 17jährige Berna ist empört. Die Tochter eines deutschen Vaters und einer türkisch-stämmigen Mutter berichtet, sie sei bereits mehrfach von vermeintlichen "Aufklärern" in einem Berliner Brennpunkt-Viertel angesprochen worden. Auch wenn sie sich selbst als Atheistin bezeichnet, hat die junge Frau an den aktuellen Debatten über radikale Strömungen innerhalb des Islam, über religiöse Toleranz und Aufrufe zum "heiligen Krieg" in sozialen Online-Medien großes Interesse. "IS hat für mich nichts mit Glauben zu tun. Die stellen sich hin und sagen, dass sie leben wollen wie der Prophet Mohammed im siebten Jahrhundert nach Christus. Woher wissen die eigentlich, wie Mohammed gelebt hat?"

Junge Menschen in schwieriger Situation sind für Heilsversprechen empfänglich

Berna ist eine von 1100 Schülern der Carl-von-Ossietzky-Schule in Berlin-Kreuzberg. Achtzig Prozent der Schülerinnen und Schüler zwischen Grundschule und Abiturklassen sind hier nicht deutscher Herkunft, 75 Prozent von ihnen sind von der Zuzahlung für Lehrmittel befreit. "Wir haben hier eine bunte Sozialstruktur, aber für uns sind alle unsere Schüler einfach Berliner", betont die Direktorin Anett Burow. Die Carl-von-Ossietzky-Schule gilt als eine Berliner Pilotschule, was Inklusion und soziale sowie kulturelle Durchlässigkeit angeht. Das Abitur kann man auf der Europa-Schule sowohl auf Deutsch als auch auf Türkisch und auch Englisch ablegen. Im letzten Jahrgang haben immerhin 119 von 121 Abiturienten ihr Zeugnis erhalten – ein Beweis dafür, dass ein multikulturelles Lernumfeld auch in sozial schwierigen Gebieten durchaus erfolgreich sein kann.

Schüler im Workshop: Die Diskussion über den Frauenbadetag verläuft konfliktreich, aber sachlich.

"Wir stehen immer in ganz engem Kontakt mit unseren Schülern. Wir setzen auf individuelles Lernen, Chancengleichheit und ganzheitliche Sprachausbildung", erklärt Anett Burow. Schülern mit Deutsch-Defiziten bietet die Schule gezielte Projektarbeit und besondere Lernformen an. Die individuelle Einbindung der Schüler steht hier im Vordergrund. Denn gerade jungen Menschen in schwieriger sozialer und familiärer Situation können für die Heilsversprechen radikaler Glaubensströmungen empfänglich sein. Dass radikale Islamisten aus dem Umkreis der Salafisten auf dem Schulhof Schüler "bekehren" wollen, wie es bereits an anderen Schulen in Berlin beobachtet wurde, sei hier zum Glück noch nicht vorgekommen. "Und wenn das der Fall wäre, würde ich sehr schnell davon erfahren, da bin ich sicher", betont Burow.

Seit einiger Zeit setzt die Carl-von-Ossietzky-Schule auf die enge Zusammenarbeit mit der "Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus" (KIgA e.V.), einem vom Bundesfamilienministerium geförderter Verein, der sich zunehmend auch für "Islamismus-Prävention und Deradikalisierung" engagiert. Derzeit leitet die KIgA ein einjähriges Projekt im Rahmen des Ethik- und Politik-Unterrichts. Einmal pro Woche  sprechen KigA-Mitarbeiter in Workshops mit den Schülern über religiöse und kulturelle Toleranz, die verschiedenen Strömungen und Auslegungen des Islam und verschiedene islamische Lebensstile. In diesen Tagen geht es in einem der Workshops um die Frage, wie die Schüler zur Einführung eines Frauenbadetags im Schwimmbad stehen. Auf einem Flipchart werden Vor- und Nachteile der Regelung zusammengestellt. Die anschließende Debatte mit den Schülern verläuft konfliktreich, aber stets sachlich und argumentativ.

Jugendliche als Individuen sehen

"Wir brechen das Eis", ist Nalan Kilic überzeugt. Die Tochter türkischer Einwanderer wurde 1969 in Berlin geboren und ist heute Fachlehrerin für Politikwissenschaften und Geschichte. Für den türkisch-sprachigen Unterricht in der Europa-Schule musste sie selbst die Sprache ihrer Eltern erst erlernen. Heute organisiert sie nicht nur Islam-Weiterbildungen für das Lehrerkollegium. Gemeinsam mit Schülern syrischer Herkunft hat sie auch das Projekt "Schüler helfen leben" angeschoben, bei dem Schüler einen Tag lang mit Hilfsarbeiten Geld verdienten, das anschließend als Spende an einen Kindergarten für Flüchtlingsfamilien in Jordanien floss. "Der Bedarf, über die aktuellen Krisenherde und den persönlichen Bezug dazu zu sprechen, ist sehr groß unter den Schülern."

Lehrerin Nalan Kilic mit Kollegen

Im Politik-Unterricht stehen daher auch die individuellen Erlebnisse und Fragen der Schüler im Vordergrund. Die Unterscheidung zwischen dem Islam und dem politischen Islamismus sei besonders wichtig in der Diskussion, betont Nalan Kilic. "Natürlich guckt sich so gut wie jeder hier die IS-Propaganda im Internet an. Das Ganze wirkt manchmal wie ein Mode-Trend, in dem die Mischung aus Langeweile und Unkenntnis wahrscheinlich die größte Rolle spielt. Das heißt aber nicht, dass die Schüler das gut finden."

Sie arbeite mit ihren Schülern intensiv an der Differenzierung der Sichtweisen, indem zum Beispiel die verschiedenen Perspektiven auf den Nahost-Konflikt exemplarisch thematisiert würden. "Das Wichtigste ist für uns, die Kategorien aufzubrechen, in denen sich unsere Schüler selbst einordnen. Wir haben es mit Menschen zu tun, die zum großen Teil politisch noch nicht mündig sind. Wir versuchen, die Jugendlichen als Individuum zu sehen, unabhängig von ihrem kulturellen, religiösen oder sozialen Hintergrund. Und ich glaube, damit haben wir Erfolg."

Ein weiteres Berliner Islamismus-Präventionsprojekt, die Beratungsstelle Hayat, stellen wir hier vor.