Webradio: Das Stadion für die Hosentasche

Webradio: Das Stadion für die Hosentasche
UKW, DAB plus, Internetradio – noch ist offen, welcher Übertragungsweg der der Zukunft sein wird. Ein Trend ist allerdings schon klar: Webradio-Angebote korrigieren das negative Image, das der klassische Hörfunk bei Jüngeren hatte.
23.03.2012
Von Ralf Siepmann

Dortmund, die Bayern oder doch Schalke? Die Bundesliga geht auf die Schlussgerade der Saison. Dabei ist eines ganz sicher: Immer mehr werden medial mitfiebern, wenn das Ringen um den 49. Meistertitel seit Gründung der Liga entschieden wird. Nicht nur bei "Liga live" etwa in den Radiowellen der ARD. Bis zu zwei Millionen Hörer verfolgen neuerdings die Partien der ersten Liga online bei "90elf". So viele waren es jedenfalls zum Auftakt der Saison. Im Schnitt sind es je Bundesligawochenende 1,6 Millionen Zugriffe, die das 2008 gestartete Webradio erreicht. Das berichtet die in Leipzig beheimatete Zentrale des deutschen Radioanbieters Regiocast, zu dessen Programmfamilie "Deutschlands erstes Fußball-Radio" gehört.

Alle Partien der ersten und zweiten Bundesliga werden – anders als bei der Konkurrenz – live und komplett, einzeln und als Konferenz übertragen. Dies sei einer der Gründe für die Resonanz des Projekts "in der größten Nische Deutschlands, der Fußball-Fangemeinde", sagt "90elf"-Geschäftsführer Florian Fritsche. Auch in der Vermarktung gebe es Erfolg. Im vergangenen Jahr stieg der Gesamtumsatz auf eine Million Euro, ein Plus von zwei Dritteln gegenüber 2010.

Deutschlandweit gibt es rund 2.700 Webradios

"90elf" ist exemplarisch für die lebendige Radiowelt im digitalen Medienumbruch. Ressourcenknappheit – ein ständiger Begleiter der analogen Hörfunkwelt mit dem Kampf um UKW-Frequenzen – war gestern. Ressourcenreichtum mit Chancen für Innovationen und Angebote selbst für die kleinste Community ist heute. "Im Webradio", erläutert Michael Bruns, Content & Marketing Manager von "radio.de", "gibt es keine Probleme mit der begrenzten Anzahl an Frequenzen." Überdies sei die Verbreitung immer weltweit. "Als Programmmacher kann ich Hörer auf allen Kontinenten erreichen." Die elementar veränderte Zielgruppenausrichtung mache das Medium auch für kleine Sparten interessant: "Egal ob Anime-Pop aus Asien", hebt Bruns hervor, "oder Elektronische Musik aus Los Angeles oder eben doch das bekannte Lokalradio von nebenan, der Nutzer hat die freie Auswahl".

"Radio.de" ist eine Art Suchmaschine für Interessenten bis zu Freaks des Mediums und fungiert wie ein Warenhaus des Hörfunks im 21. Jahrhundert. Die Plattform ermöglicht den Zugriff auf Sender, Webradios und Podcasts. Sie wurde vor rund vier Jahren von "Madsack Media Lab", der Sparte Neue Medien des Zeitungshauses Madsack in Hannover, initiiert. Laut Homepage ist sie mit rund 2,1 Millionen Nutzern die größte Plattform ihrer Art hierzulande. 2.576 der 5.487 Sender sind Angebote aus Deutschland – öffentlich-rechtliche wie private, Mainstream- wie Nischen-Formate. Kaum vorstellbar? Laut einer Studie der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) vom April 2010 gibt es rund 2.700 deutsche Webradios. Davon sind 80 Prozent ausschließlich im Internet zu empfangen ("Internet-Only"). Die übrigen sind vorwiegend Live-Streams der UKW-Radio-Sender ("Simulcast-Streams").

Immer mehr Jüngere hören online 

Parallel mit der Expansion von Webradios und der allmählich wachsenden Akzeptanz von DABplus – dem neuen bundesweiten Digital-Radio in der Nachfolge des analogen UKW – steigt auch die Radionutzung. 79,6 Prozent der erwachsenen Bundesbürger hören laut Media-Analyse Radio I/2012 an einem durchschnittlichen Tag 199 Minuten Radio im Schnitt.

Besonders bemerkenswert: Auch unter den 14- bis 29-jährigen ist es in wachsendem Maße "in", Radio zu hören. Die Tagesreichweite kletterte um zwei Prozentpunkte auf 71,5 Prozent. Lutz Kuckuck, Geschäftsführer der "Radiozentrale", einer Marketinginitiative für die Mediengattung, führt den generellen Anstieg auf die Differenzierung der Verbreitungswege zurück. Radio finde seinen Weg zum Hörer über UKW, DABplus sowie immer mehr über das Internet. "Die Multichannel-Fähigkeit von Radio", sagt die Kommunikationschefin der Radiozentrale, Susanne Baldauf, "sehen wir als einen Grund für die kontinuierlich steigenden Reichweiten bei den jungen Zielgruppen.

Online gibt es keine Formatgrenzen

Die "Radiostudie 2011" von Landesmedienanstalten und Branchenunternehmen lieferte bereits einen deutlichen Fingerzeig. Danach clicken sich zwölf Prozent der 14- bis 29-Jährigen täglich zu einem Webradio durch. Bei den 14- bis 59-Jährigen sind es sechs Prozent. "Radio hatte ein Imageproblem bei der jüngeren Generation - zu beliebig, zu stark formatiert war das Programm. Subkultur, die gerade für die Jungend relevant ist, hat es nur selten ins Radio geschafft," äußert radio.de-Manager Bruns zum Hintergrund der Renaissance des traditionellen Mediums in der jüngeren Zielgruppe.

Wie bei den Angeboten auf Tablet-PC’s kristallisiert sich auch beim Webradio der Faktor "mobile" als Treiber der Entwicklung heraus. "90elf ", unterstreicht Geschäftsführer Fritsche den Trend, "ist das Stadion für die Hosentasche. Die Möglichkeit zur mobilen Nutzung trifft exakt die Wünsche der Zielgruppe." De facto verwendet bereits ein Viertel der Jüngeren, wie die "Radiostudie 2011" ermittelte, ein Smartphone für die Nutzung unterwegs. Den Trend bestätigten ferner die Daten von "radio.de" für 2011 mit einer Gesamtreichweite von mehr als 196,7 Millionen "Playcounts". "Das ist die Einheit", erläutert Bruns, "in der angegeben wird, wie oft ein Sender über eines der Angebote auf der Plattform gestartet wurde."

61 Prozent des Contents wurde auf mobilen Endgeräten abgerufen – ein Plus von 25 Prozent im Vergleich zu 2010. Die iPhone-App von "radio.de" rangierte in den "mobile facts 2011" der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) auf Platz zwei der 65 meistbenutzten Apps - unter dem Strich bedeutet dies: Good news - Webradios sind für klassische Medien ein ermutigendes Beispiel für das Erreichen einer Zielgruppe, die ansonsten als schwer zu fassen gilt.


Ralf Siepmann arbeitet als freier Journalist in Bonn.