"Wir müssen unser Verhalten und Wirtschaften verändern"

"Wir müssen unser Verhalten und Wirtschaften verändern"
Marlehn Thieme sieht den Ausgleich zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialen Anliegen als langfristigen, mitunter konfliktreichen Prozess. "Für mich ist Nachhaltigkeit nicht das, was wir Christen Paradies nennen", sagt die Direktorin und Aufsichtsrätin der Deutschen Bank. Am Mittwoch wurde die 54-jährige Juristin und Mutter zweier Töchter zur neuen Vorsitzenden des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung gewählt. Sie gehört auch dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an.
02.03.2012
Die Fragen stellte Elvira Treffinger

Frau Thieme, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl in den Vorsitz des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Was haben Sie für Pläne in diesem Amt?

Thieme: In diesem Jahr wird die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung zehn Jahre alt. Wir werden ein besonderes Augenmerk darauf legen, was sie bewirkt und vor allem, was sie noch mehr bewirken kann. Die Bundesregierung hat ihren Bericht Mitte Februar vorgelegt. Wir werden die Strategie einer deutlichen Prüfung unterziehen und der Regierung Lob und Kritik zurückspiegeln. 2012 ist auch das Jahr der internationalen Rio+20-Konferenz im Juni in Brasilien. Das Hauptthema wird die Gestaltung einer Green Economy sein, was angesichts der Globalisierung unabdingbar ist. Wir werden uns anschauen, was wir neben der Energiewende, dem großen wichtigen Innovationsprojekt in Deutschland, noch für Impulse geben können.

Marlehn Thieme. Foto: epd-bild/Norbert Neetz

Da haben Sie zwei große Aufgabenfelder genannt. Nachhaltigkeit ist ein schillernder Begriff. Er soll Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte in Einklang bringen. Was verstehen Sie darunter?

Thieme: Den Ausdruck "schillernd" kann ich nicht nachvollziehen. Nachhaltigkeit bedeutet für mich, dass drei Ziele in den Blick genommen werden, die durchaus im Konflikt zueinander stehen können. Dann beginnt ein transparenter Prozess der Konfliktlösung, mit einer längerfristigen Perspektive, als wir das bei den oft sehr kurzfristigen Entscheidungen in Politik und Wirtschaft heute gewohnt sind.

Wie können auftretende Widersprüche gelöst werden?

Thieme: Für mich ist Nachhaltigkeit nicht das, was wir Christen Paradies nennen. Es ist eine Fehlvorstellung, dass man glaubt, die Nachhaltigkeit lenken zu müssen. Für mich ist es ein Prozess: Wir müssen an den Problemen von heute ansetzen, die sich an Klima, Energie, Ressourcenerschöpfung und sozialer Ungerechtigkeit manifestieren. Aber wir müssen auch überlegen, wie wir uns in der Dimension unseres eigenen Verhaltens und Wirtschaftens verändern müssen. Ich frage mich auch: Was können wir als Christen als Gesinnung in die Gesellschaft tragen, die auf Konsum und Grenzenlosigkeit angelegt ist? Das gilt vor allem auch im praktischen Leben.

Sie sind Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Welche Rolle spielt der Glauben bei der ethischen Fundierung unternehmerischen Handelns?

Thieme: Ich würde das nicht nur auf unternehmerisches Handeln beschränken wollen: Die Besinnung und die Orientierung an dem Vertrauen darauf, dass es gut werden kann. Das leitet einen, weil es einem einerseits Verantwortung auferlegt, andererseits aber auch die Freiheit gibt und die Angst nimmt, etwas zu verändern und etwas zu gestalten.

Im Nachhaltigkeitsrat sind 15 Persönlichkeiten, darunter Politiker, Umweltschützer, Gewerkschafter und Wissenschaftler, die von der Bundesregierung berufen wurden. Wie unabhängig ist das Gremium?

Thieme: In meiner Wahrnehmung, ich bin seit 2004 dabei, sind die Menschen als Menschen berufen. So bin ich zwar auf Vorschlag der evangelischen Kirche berufen worden, aber letztendlich als Marlehn Thieme. Auch bei meinen Ratskolleginnen und -kollegen ist es immer ihre persönliche Auffassung und ihr Engagement, das sie mit einbringen.

"Es ist unabdingbar, dass man sich als Marktteilnehmer

ethisch verhält und seine eigenen Geschäfte so gestaltet,

dass sie auch der Generation von morgen nützt."

 

Sie sind Direktorin für gesellschaftliche Verantwortung und Aufsichtsrätin bei der Deutschen Bank. Herr Ackermann hat mit seinem 25-Prozent-Renditeziel Bewunderung, aber auch viel Kritik ausgelöst. Erleben Sie selbst Widersprüche zwischen Gewinnmaximierung und Nachhaltigkeit?

Thieme: Solche platten Widersprüche erlebe ich nicht. Sie bilden die Komplexität solcher Verhältnisse zu wenig ab. Ich bin Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat und ich gestalte das gesellschaftliche Engagement der Deutschen Bank mit, was über das hinausgeht, was die Bank an Steuern, Abgaben und Beiträgen für diese Gesellschaft leistet. Ich finde da ein sehr großes Engagement und eine sehr große Bereitwilligkeit. Klar ist natürlich, dass man Staat und Gesellschaft nur unterstützen und finanzieren kann, wenn man Erträge erwirtschaftet. Andererseits ist es aber auch unabdingbar, dass man sich als Arbeitgeber und Marktteilnehmer ethisch verhält und seine eigenen Geschäfte so gestaltet, dass sie auch der Generation von morgen nützt und die Lebensgrundlagen schützt.

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Es gibt Kritik, auch aus den Kirchen, dass sich die Deutsche Bank an Spekulationsgeschäften beteilige, die zum Anstieg von Lebensmittelpreisen und somit zum Hunger in der Welt beitrügen. Wie stehen Sie dazu?

Thieme: Die Spekulationsgeschäfte der Deutschen Bank und die Vorwürfe dazu kann ich nicht kommentieren. Ich glaube, man muss sehr sorgfältig abwägen, zwischen dem Nutzen von Termingeschäften, auch im Nahrungsmittelbereich, der dem Bauern auch eine Kalkulationssicherheit gibt, und dem Schaden, der entstehen kann.

Sie haben gesagt, Sie glauben an die unsichtbare Hand des Marktes und die sichtbare Hand des Staates. Gibt es Gebiete, auf denen der Staat Ihrer Ansicht nach stärker gefordert ist als bisher?

Thieme: Ich glaube, dass ein Markt nur dann nachhaltig sein kann, wenn er einen Ordnungsrahmen hat, der alle Akteure zu einem Verhalten zwingt, das nicht die Lebensgrundlagen zerstört, die die folgenden Generationen benötigen. Da kann ich mir schon vorstellen, dass sich die Staaten einigen, in einer globalisierten Welt ihre Ordnungsrahmen im Sinne der Nachhaltigkeit zu stärken.

Reicht das aus?

Thieme: Ich glaube allerdings auch, dass die Unternehmen in der Lage sind, sich im Sinne der Nachhaltigkeit stärker an globalen Ordnungsrahmen zu orientieren. Mein Appell geht an die Unternehmen, dies auch zu tun, zum Beispiel indem sie sich am deutschen Nachhaltigkeitskodex und ähnlichen globalen Initiativen wie etwa der Global Reporting Initiative beteiligen. Ich halte das für eine unerlässliche Ergänzung zu einem nationalen Ordnungsrahmen und in einer globalen Wirtschaft oftmals für wirksamer als nationale Gesetze.

epd