Die Fastenaktion "7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz"

Die Fastenaktion "7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz"
Wenn man Werbung und Selbsthilfebüchern glaubt, geht es immer noch schöner und erfolgreicher. Die evangelische Kirche hinterfragt mit ihrer Fastenaktion "Gut Genug! 7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz" den Trend zur Selbstoptimierung, der schon im Kindesalter beginnt. Über zwei Millionen Menschen machen in diesem Jahr mit, um aus gewohnten Konsum- und Verhaltensweisen auszusteigen und neue Lebensziele zu finden.
20.02.2012
Von Jasmin Maxwell

Was kann man nicht alles in zehn Tagen schaffen: den Führerschein machen, seine Pickel loswerden, China erkunden, fünf Kilo abnehmen oder auch zehn. Zumindest wenn es nach den zahlreichen Ratgeberseiten im Internet geht. Die Botschaft ist klar: Jeder kann sich verbessern, und das in kürzester Zeit. "An der Forderung zur Selbstoptimierung kommt niemand vorbei", sagt die Zürcher Soziologin Stefanie Duttweiler. "Schwächen werden heute umgewertet." Sie zeigen, an welchen Stellen man sich noch weiter verbessern kann.

[listbox:title=Mehr im Netz[Die Fastenaktion der evangelischen Kirche: "7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz"]]

Die Evangelische Kirche in Deutschland will diesen Trend mit ihrer diesjährigen Fastenaktion hinterfragen. Das Motto: "Gut genug - 7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz". Die Initiatoren rufen dazu auf, in der Fastenzeit von Aschermittwoch am 22. Februar bis Ostern am 8. April nicht nur auf Schokolade oder Alkohol zu verzichten, sondern auch Pause vom Perfektionismus zu machen. An der Initiative mit Aktionskalendern und Fastengruppen beteiligen sich in jedem Jahr rund zwei Millionen Menschen.

Mit dem Wunsch nach Optimierung lässt sich viel Geld verdienen

Man darf heute eigentlich keine Schwächen zeigen", sagt die Münchener Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, Kuratoriumsvorsitzende von "7 Wochen Ohne". "Jeder ist ständig dabei, sich selbst zu verbessern. Man ist sich selbst der größte Sklaventreiber."

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, wirbt dafür, die Fastenzeit als Chance zur Selbstbesinnung und für einen neuen Anfang zu nutzen. Durch den Verzicht in den sieben Wochen vor Ostern könnten Menschen erkennen, dass sie von Beziehungen zu anderen und zu Gott lebten, sagte er am Mittwoch in Hannover.

[listbox:title=Aschermittwoch und Passionszeit[Mit dem Aschermittwoch am 22. Februar beginnt die rund 40-tägige Fasten- oder Passionszeit vor Ostern. Der Verzicht auf Speisen und Getränke wie Fleisch und Wein oder auch auf den Fernsehkonsum gilt als Symbol der Buße und der spirituellen Erneuerung. In den sieben Wochen vor dem Osterfest nehmen sich viele Christen zudem mehr Zeit für Ruhe, Besinnung und Gebet, um sich selbst und Gott näherzukommen. In der katholischen Kirche zeichnet der Priester am Aschermittwoch ein Aschekreuz als Symbol der geistigen Reinigung und der Vergänglichkeit auf die Stirn der Gottesdienstbesucher. Fastenzeiten sind in fast allen Religionen bekannt, so etwa der Fastenmonat Ramadan im Islam.]]

In der evangelischen Kirche gebe es keine festen Fastenregeln. Der Reformator Martin Luther (1483-1546) habe aufgeräumt mit der Vorstellung, dass Enthaltsamkeit als "gutes Werk" vor der Hölle bewahren könne, sagte Schneider. Dennoch sei es gut, wenn Menschen die Fastenzeit nutzen, um ausgetretene Pfade zu verlassen und den gewohnten Lebensablauf unterbrächen.

In seiner Botschaft unterstützt der Ratvorsitzende die Aktion "7 Wochen Ohne": "Wir müssen uns nicht überfordern, und wir sollen nicht mehr darstellen wollen als wir wirklich sind", so Schneider. 

Kinder entwickeln heutzutage in der Schule Versagensängste

Mit dem Wunsch nach Optimierung lässt sich viel Geld verdienen: Unzählige Lebenscoaches und Persönlichkeitstrainer bieten im Internet ihre Dienste für mehr beruflichen Erfolg an, für bessere Schulnoten wollen zahlreiche private und professionelle Nachhilfelehrer sorgen. Nach Angaben des Bundesverbands Nachhilfe- und Nachmittagsschulen, in dem mehr als 2.500 solcher Organisationen zusammengeschlossen sind, nimmt jedes dritte bis vierte Kind im Laufe seiner Schulzeit Nachhilfeunterricht.

Denn die Forderung nach Verbesserung beginnt schon im Kindesalter. "Eltern machen Kindern sehr deutlich, dass man sich seinen Platz in der Gesellschaft durch gute Leistungen erarbeiten muss", sagt der Erziehungswissenschaftler Arnold Lohaus. Der Professor der Universität Bielefeld beobachtet, dass Eltern immer höhere Erwartungen in ihre Kinder setzen. Den Grund dafür sieht Lohaus unter anderem in veränderten Familienstrukturen. "Früher haben sich die Erwartungen der Eltern auf mehr Kinder verteilt." Wenn sich heute alle Hoffnungen auf ein oder zwei Kinder konzentrierten, sei der Druck größer.

Die Schulpsychologin Monika Drinhaus berichtet von 15- oder 16-jährigen Mädchen, die bis zur Erschöpfung lernen, weil sie mit ihren Noten unzufrieden sind. "Wenn sie eine Drei statt einer Zwei in der Klassenarbeit schreiben, entwickeln einige Schüler massive Versagensängste." 

Leistungsdruck verurusacht Kindern Kopfschmerzen

Für zusätzliche Belastung sorgt nach Ansicht der Psychologin, die an mehreren Schulen im Rheinland arbeitet, die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre. Schüler hätten heute einen Arbeitstag wie ein Erwachsener. "Und das müssen sie in einer Phase bewältigen, in der sie sich körperlich und emotional rasant entwickeln."

[listbox:title=Die einzelnen Wochenthemen bei "7 Wochen ohne falschen Ehrgeiz"[Woche 1, ab 22. Februar: "Groß genug? Die eigenen Grenzen kennen"##Woche 2, ab 29. Februar; "Versorgt genug? Den Mangel nicht fürchten"##Woche 3, ab 7. März: "Begabt genug? Nicht alles - allein - können müssen"##Woche 4, ab 14. März: "Fromm genug? Aus der Mitte des Herzens glauben"##Woche 5, ab 21. März: "Tüchtig genug? Sich nicht im Alltäglichen verlieren"##Woche 6, ab 28. März: "Fehlerlos genug? Mit sich und anderen gnädig sein"##Woche 7, ab 4. April: "Erlöst genug? Den Glauben als Geschenk annehmen"]]

Leistung spielt nach Drinhaus' Erfahrung auch in der Freizeit von jungen Menschen eine immer größere Rolle. "Heute besuchen so viele Kinder das Gymnasium, dass sich viele Eltern fragen: Wie kann sich mein Kind da abheben?" Hobbys wie Sport oder Musik seien dann nicht mehr Mittel zur Entspannung, sondern auf Höchstleistungen ausgerichtet.

Der Erziehungswissenschaftler Lohaus hat in Untersuchungen festgestellt, dass jeder fünfte Drittklässler über häufige Kopfschmerzen klagt - ein typisches Stress-Symptom. Gründe dafür könnten Hausaufgaben und Klassenarbeiten, aber auch die vielen Freizeitaktivitäten sein. Lohaus rät, Schularbeiten und Hobbys sinnvoll über die Woche zu verteilen - und auch Ruhepausen einzuplanen.

"Gott liebt uns so, wie wir sind, ohne Vorleistung"

Ehrgeiz sei an sich nichts Schlechtes, betont Bischöfin Breit-Keßler. Doch "7 Wochen Ohne" wolle vor falschem Ehrgeiz warnen, der ständig zu neuen Superlativen antreibe. Breit-Keßler will dem das christliche Verständnis entgegensetzen: "Gott liebt uns so, wie wir sind, ohne Vorleistung." Kinder sollten ihre Zeit auch mal sinnfrei genießen können, sagt sie. Einfach in der Natur sein, mit Tieren oder Freunden spielen - das komme häufig zu kurz. Auch Erwachsenen rät sie, "den Sabbat mal im Alltag zu heiligen". Die Fastenzeit sei dazu eine gute Gelegenheit.

Ehrgeiz kann man nach Meinung von Breit-Keßler auch im Kleinen fasten: "Nach einem langen Arbeitstag muss man nicht unbedingt noch ein 3-Gänge-Menü kochen und die gesamte Wäsche erledigen". Es könne auch mal reichen, nur die Bluse für den nächsten Tag zu bügeln.

epd

Machen Sie bei der Fastenaktion "Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz" mit. 7 Wochen Ohne-Geschäftsführer Arnd Brummer lädt ein!

chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer ruft dazu auf, mit richtigem Ehrgeiz gemeinsam etwas zu bewegen: