500. Simpsons-Folge: Persiflage nicht mehr zielsicher

500. Simpsons-Folge: Persiflage nicht mehr zielsicher
In den USA ist am Sonntag die 500. Folge der Rekordserie "Die Simpsons" gesendet worden. Der Professor für Bildung und Medienkunde Erik Jacobson hat keine einzige Episode verpasst. Er erklärt die Serie so: "Ihr schaut uns im Fernsehen an. Wir kritisieren dabei das Fernsehen. Gleichzeitig fördern wir damit das Fernsehen".
20.02.2012
Von Max Böhnel

Als der Simpsons-Gründer Matt Groening zum 10. Jahrestag der Comicserie gefragt wurde, was ihn ursprünglich dazu inspiriert habe, nannte er "all diese vergeudeten Stunden beim Fernsehgucken", als er jünger war. Dass ein prüfender und kritischer Blick auf die amerikanische Gesellschaft zuallererst die "TV Nation" ins Visier nehmen muss, hatte das Simpsons-Autorenteam schnell erkannt. Und dass eine erfolgreiche Medienkritik dann auch im Fernsehen stattzufinden hat – diesem Erfolgsgeheimnis kam unwissentlich der damals noch weit hinter den anderen Networks rangierende Sender "Fox" nach.

Am Sonntagabend flimmerte die 500. Episode über den Sender "Fox", wie immer um 20 Uhr und für 26 Minuten Gesamtspielzeit, minus die Werbepausen. Das Jubiläum sollte etwas Besonderes werden. Dazu hatte die Produktionsfirma den zur Zeit der Aufnahmen unter Hausarrest stehenden Wikileaks-Gründer Julian Assange zu Sprachaufnahmen gewinnen können. "US-Staatsfeind" Assange bei den Simpsons – was für ein Werbegag und Aufmerksamkeitshit, müssen sich die Macher gedacht haben. Denn Assange auf Fox als Comicfigur, ausgerechnet in dem Sender, dessen Kommentatoren zwar nicht unisono, aber auch nicht als Ausnahmen sprichwörtlich den Kopf von Julian Assange gefordert haben.

Assange sagt nur vier Sätze auf

Das am Sonntag veröffentlichte Ergebnis war durchwachsen. Assange sagte ganze vier Sätze, die noch dazu weder witzig noch selbstironisch waren. Dazu klangen sie schlecht aufgesagt. Ausserdem spielte er in der Gesamthandlung nur einen Nebenpart. Das Plot: die "Simpsons" werden von den Bürgern von Springfield in einer Geheimssitzung aus der Stadt geworfen, weil sie angeblich zu viel Chaos und finanziellen Schaden angerichtet hätten. Sie landen in einer kaputten Siedlung von Outlaws, wo sich auch Assange niedergelassen hat. Letztendlich ziehen alle anderen Springfielder dorthin – weil sie gelangweilt sind, und weil die Outlaw-Siedlung Springfield nachbaut.

Nach wie vor ziehen die Simpsons die US-Gesellschaft durch den Kakao. Kein Aspekt des Alltags bleibt verschont – vom schießwütigen Waffennarren über den religiösen Irren bis zu Umweltverschmutzung, Korruption, Politik - und Medien. Vor allem letztere sind seit 23 Jahren Zielscheibe der Simpson´schen Kritik.

"I am sick of watching fox"

Dabei halten die Gelbköpfe den Amerikanern und der "TV Nation" den Spiegel vor die Augen. Es geht nicht nur um die Stunden über Stunden, die vor der Glotze verbracht werden, sondern auch um die Industrie, die für das entsprechende Verhalten sorgt und daraus Milliardengewinne zieht. Der "Simpsons"-Haussender "Fox" ist konservativ bis ultra-konservativ-hetzerisch, bleibt deshalb aber vor Querschüssen nicht verschont. Einmal geriet "Fox" in einer Szene der Gelbköpfe zum Pornosender, ein andermal bezeichnete sich die Karikatur des "Fox"-Besitzers Rupert Murdoch selbst als "milliardenschweren Despoten". In der 500. Episode fiel die "Fox"-Veräppelung eher schal aus. Die "Simpsons"-Familie sitzt versammelt auf der Couch und glotzt auf einen ausgestopften Fuchs (fox), bis Familienoberhaupt Homer sagt "I am sick of watching fox".

Kritik am eigenen Stall, auch wenn sie böse wird, dürfen sich die "Simpsons" leisten. Denn nicht zuletzt war es der Erfolg der Serie, der dem Kanal zum Aufstieg und auf Platz Nummer eins der meistgesehenen US-Fernsehsender verhalf. Die Erlebnisse der chaotischen Durchschnittsfamilie, die wöchentlich über den Bildschirm flimmerten, und ihre Beliebtheit waren die Grundarchitektur für den Sender.

Die Serie handele vom "Prozess des Fernsehens", sagte Matt Groening einmal. Aber das war noch in der Zeit, als Smartphones, Apple TV, Facebook und Twitter Ausnahmeerscheinungen waren, mit denen sich Ausnahme-Nerds abgaben. Der Internetkonsum der Mehrheit beschränkte sich aufs Emailen und Surfen.

Die subversive Persiflage ist nicht mehr zielsicher

Der Professor für Bildung und Medienkunde an der Montclair State University im Bundesstaat New Jersey Erik Jacobson hat keine einzige Episode verpasst. Vor 15 Jahren habe die Medienkritik der "Simpsons" noch "Biss" gehabt, sagt er. Denn damals war populäre Medienkritik noch zwangsläufig auf eine Kritik von Fernsehen und Filmwelt beschränkt. "Sie machten das mit Ironie und Parodie, auf dem Höhepunkt des Postmodernismus", sagt Jacobson. Was in der Soziologensprache Hypertext oder Intertextualität heißt, bedeutet auf die Simpsons übertragen und von Jacobson übersetzt: "Ihr schaut uns im Fernsehen an. Wir kritisieren dabei das Fernsehen. Gleichzeitig fördern wir damit das Fernsehen".

Immer wieder als Runnings Gags ziehen sich beispielsweise der realitäsfremde, korrupte und opportunistische Newsanchor Kent Brockman durchs Simpsons-Programm, aber auch die Zeichentrickgewaltserie "Itchy and Scratchy Show" und der "Radioactive Man", eine Ironisierung von Charakteren wie Superman und Batman. Sie sorgten - und sorgen – für Lacher.

Selbstkritisches Gekratze hinterm Ohr ließ bei den "Simpsons"-Fans in den vergangenen Jahren allerdings nach. Denn so tiefgründig und subversiv die Persiflage am Fernsehen auch sein mag – sie trifft nicht mehr zielsicher. Denn angesichts der sich verändernden Mediengewohnheiten konnten die Simpsons, auch wenn sie es gewollt hätten, nicht über ihre gelungene Kritik am amerikanischen Fernsehen hinauswachsen. Bei mittlerweile über 200 TV-Kanälen, mit Youtube, Twitter, "viral videos" und Facebook geht die Übersicht verloren und damit auch die Angriffsfläche. Zurecht sprechen Medienexperten und Zuschauer Homer und den Seinen die Schärfe von damals ab. Probe aufs Exempel: die Facebook-Page der "Simpsons" ist wie alle anderen Internet-Selbstdarstellungen der Serie eine bloße Werbefläche, bar jeder Ironie.


Max Böhnel arbeitet als freier Journalist in New York.