"Ich hätte meinen Sohn vor der Organspende schützen müssen"

"Ich hätte meinen Sohn vor der Organspende schützen müssen"
Renate Greinert hat ihren Sohn nach einem schweren Verkehrsunfall zur Organspende freigegeben. Heute bereut sie ihre Entscheidung. Denn sie sagt, sie sei von den Ärzten manipuliert worden.
19.01.2012
Von Lena Högemann

Die Eltern sitzen am Krankenhausbett ihres Kindes. Der Junge ist an Maschinen angeschlossen, die ihn am Leben erhalten. Ein Verkehrsunfall nach der Schule, das Horrorszenario für alle Eltern. Für Renate Greinert ist es zur Realität geworden. Sie habe die ganze Zeit gehofft, dass das Kind überleben wird, beschreibt Renate Greinert ihre Gefühle. "Plötzlich kommt ein Arzt und sagt: Nein, der ist tot." Genau an diesem Punkt der Geschichte passiert etwas, das Renate Greinerts Leben für immer verändern wird. Es ist der Beginn ihres Kampfes gegen Organspende und für "ehrliche Aufklärung", wie sie sagt.

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Heute, sagt die Mutter, der Arzt habe die Eltern manipuliert. Ihr Sohn sei doch bestimmt ein sozialer Typ gewesen, habe der Arzt gesagt. An anderen Betten säßen Eltern, deren Kinder sie jetzt retten könnten, mit einer Organspende. Ihr Sohn Christian sei natürlich ein netter Junge gewesen, aber er war damals 15 Jahre alt, mitten in der Pubertät: "Er konnte sich auch mit seiner Schwester um ein Stück Schokolade streiten." Aber darum ging es dem Arzt gar nicht. Es ging schlicht und einfach um Christians Organe. Wenn man helfen könne, sagte ihr Ehemann, und die Eltern erlaubten die Entnahme eines Organs.

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"Ich habe mir aber gar nicht vorgestellt, dass man seinen Körper aufschneidet und dass das die größte Operation seines Lebens wird", sagt die Organspendekritikerin. Statt ein Organ zu entnehmen, wurden Herz, Leber, Nieren, sogar Augen und Beckenknochen entnommen. "Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich meinen Sohn zur Wiederverwertung freigegeben habe, aber so ist es gewesen." Sie weiß es so genau, weil sie Christian vor der Beerdigung noch einmal angesehen hat. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr Sohn tot war. Für die Organentnahme hatte man ihn mit schlagendem Herzen in den OP gefahren - der Blutfluss wird mechanisch aufrechterhalten, damit die Organe nicht absterben.

Organe werden von lebenden Körpern und nicht von Toten entnommen

Renate Greinert erzählt ihre Geschichte nicht zum ersten Mal. Sie ist im Vorstand der Initiative Kritische Aufklärung Organspende (KAO). Zusammen mit anderen Mütter und Vätern will die Initiative darüber aufklären, dass Organe ihrer Meinung nach nicht von Toten entnommen werden. Renate Greinert spricht von Sterbenden, die durch die Definition des Hirntods zu Toten erklärt werden. Für die 68-Jährige ist klar: "Ich hätte meinen Sohn schützen müssen." Ein würdevolles Sterben sei mit einer Organspende einfach nicht möglich, davon ist sie überzeugt.

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Dass in Deutschland 12.000 Menschen auf ein Organ warten, spielt für die Mutter keine Rolle. Auch nicht, dass mit den Organen ihres Sohnes andere Menschen leben konnten. "Man hat ihn durch die Organentnahme getötet", diese Erkenntnis ist bei Renate Greinert fest verankert. Wenn die Abgeordneten im Bundestag im Sommer das Transplantationsgesetz ändern, möglicherweise hin zu einer Entscheidungslösung, bei der sich jede Bürgerin und jeder Bürger mindestens einmal im Leben zur Organspendebereitschaft äußern soll, wird Renate Greinert weiter kämpfen. In einer Gesellschaft, die sich so wenig mit Tod und Sterben auseinandersetze, könne man solch eine Entscheidung nicht erwarten und erst recht nicht erzwingen, glaubt sie.


Lena Högemann arbeitet als freie Journalistin in Berlin und Hannover.