Alternative Produkte: Kleider und Autositze aus Milch

Alternative Produkte: Kleider und Autositze aus Milch
Aus flüssiger Milch wird ein Kleid, das sogar essbar wäre. Die Naturwissenschaftlerin Anke Domaske produziert seit rund zwei Jahren die weltweit erste Textilfaser aus Kuhmilch - aus Abfällen der Milchindustrie. Dafür wurde sie erst belächelt. Experten rieten ihr sogar davon ab. Doch Domaske ist überzeugt: "Das ist die Zukunft."
17.01.2012
Von Charlotte Morgenthal

Sechs Liter Milch braucht Anke Domaske für ein Kleid. Aus Überschüssen der Kuhmilchindustrie stellt die 28-jährige Unternehmerin aus Hannover eine biologische Faser her. Aus den Stoffen schneidert sie Kleider, die allergikerfreundlich, antibakteriell und biologisch abbaubar sind. Anfangs lachten viele über ihre Idee. Experten rieten ihr davon ab. Doch Domaske ist überzeugt: "Das ist die Zukunft."

Die Produktion der Faser dauert eine Stunde, erklärt die studierte Naturwissenschaftlerin Domaske. Der Rohstoff für die Produktion kommt aus den Abfällen der Milchindustrie. Das seien 20 Prozent der täglichen Produktion. Aus der sauren Milch und dem daraus entstehenden Quark werde Eiweißpulver hergestellt, das dann mit Wasser angerührt wird. "Die Masse wird dann durch eine Art Fleischwolf gepresst", erklärt Domaske. Fertig ist der Faden aus Milch. Während andere Naturfasern wie Baumwolle sich eher rau anfühlen, hat die industriell hergestellte Milchfaser eine noch glattere Struktur.

Vor zwei Jahren gründete Domaske die Firma "Qmilch", die heute in einem hannoverschen Gewerbezentrum angesiedelt ist. Die rasant ansteigende Nachfrage nach der neuen Faser im vergangenen Jahr, auch aus Afrika oder Australien, habe sie selbst überrascht. Internationale Medien wie das "New York Science Magazine" standen plötzlich auf ihrer Fußmatte. "Das zeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin", sagt Domaske selbstbewusst. Neben der Weiterverarbeitung der Stoffe in ihrem Modelabel verkauft sie die Faser an rund 90 Kunden. Diese verarbeiten den "Milchstoff" zu Textilien für Autositze oder auch Bettwaren.

"Man will sich mit Produkten etwas Gutes tun"

Die Jungunternehmerin glaubt, dass ihre Milchfaser auch deshalb so erfolgreich ist, weil Menschen in Deutschland umweltbewusster leben wollen. Besonders nach den Ereignissen vom havarierten Atomkraftwerk im japanischen Fukushima. "Man will sich mit Produkten etwas Gutes tun." Intelligente Textilien, die gut für die Haut und biologisch seien und dazu noch aus Abfallmaterialien hergestellt werden, seien da genau das Richtige.

Anke Domaske, Gründerin von "Qmilch". Foto: Jannes Frubel/epd-bild 

Der Umweltchemiker Michael Braungart findet die Idee einer Milchtextilfaser aus den Restprodukten gut. Langfristig löse dies aber nicht das Problem der deutschen Konsumgesellschaft. So sei die Milchproduktion einer Kuh in den vergangenen Jahrzehnten jährlich von 5.000 Litern auf bis zu 13.000 Litern Milch angestiegen, warnt der Professor. "Da wird mir schlecht."

Braungart will darum auch noch nicht von einem Umdenken der Verbraucher in Deutschland reden. "Wir haben hier das Problem, dass die Menschen die Umwelt als moralisches Thema verstehen." Das sei ganz schnell vergessen, wenn es ihnen schlechter ginge, sagt der Wissenschaftler. Bei biologischen und wiederverwertbaren Produkten ginge es aber nicht um Moral, sondern um die Qualität. Die Menschen müssten erkennen, dass diese Produkte auch wertvoller seien.

"Wir probieren aus, was für eine heilende Wirkung der Stoff haben kann"

Anke Domaske betrachtet nachdenklich kleine Schnittwunden an ihren Händen. "Gerade probieren wir aus, was für eine heilende Wirkung der Stoff haben kann", sagt sie. Tatsächlich heilten die Schnitte schneller. Das Milchprotein habe, ähnlich der Schafwolle, eine fettende Wirkung. Auch Chemiker Braungart meint, solche Entwicklungen gingen in die richtige Richtung. Hauterkrankungen und Allergien seien durch ungesunde chemisch behandelte Textilien auf dem Vormarsch.

Vorsätze für das nächste Geschäftsjahr hat sich Domaske nicht gemacht. "Es gibt immer viel zu viel zu tun, als darüber nachzudenken", sagt sie. Ihr Arbeitstag hat oft 16 Stunden. Demnächst will sie die Produktion von zwei Kilo in der Stunde auf 70 steigern. Kürzlich hat ihr eine junge Frau aus Indien geschrieben, wie sie die Erfolgsgeschichte aus Deutschland inspiriert hat, erzählt Domaske stolz. "Den Brief habe ich mir aufgehoben."

epd