Weihnachten im Zeichen von Hochwasser und Wirbelsturm

Weihnachten im Zeichen von Hochwasser und Wirbelsturm
Das Jahr 2011 war reich an Naturkatastrophen. Von Erdbeben über Tsunamis bis zu tropischen Wirbelstürmen hat die Natur einmal mehr gezeigt, welche immense Gewalt sie ausüben kann. Zu Weihnachten stehen die Katastrophen in zwei asiatischen Ländern im Mittelpunkt des weltweiten Interesses: Thailand und die Philippinen. Während Thailand sich so langsam an den Wiederaufbau der von einem Jahrhunderthochwasser zerstörten Gebiete macht, laufen auf den Philippinen die Hilfseinsätze für jene vielen tausend Menschen an, die durch den Taifun Washi ihr Hab und Gut verloren haben.
23.12.2011
Von Michael Lenz

In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember brach der Taifun Washi über Cagayan de Oro und Iligan im Norden der philippinischen Insel Mindanao herein. "Der Taifun hat uns im Schlaf überrascht", sagt Beryl Tranco, Mitarbeiterin eines Evakuierungszentrums in Cagayan de Oro. "Viele Menschen haben alles verloren." Das Unwetter war gewaltig. Erst der Sturm mit einer Geschwindigkeit bis zu Hundert Stundenkilometern. Dann ließen zwölf Stunden schwersten Dauerregens die Flüsse anschwellen. Die Wassermassen rissen alles mit sich. Zerstörte Häuser, verschlammte Straßen, entwurzelte Bäume und Verwesungsgeruch prägen das Bild vor Ort. Eine der größten Gefahrenquellen stellt verschmutztes Wasser dar. "Hygiene und sauberes Trinkwasser sind unerlässlich, um den Ausbruch von Krankheiten zu verhindern", betonen Helfer.

Soe Nyunt-U hat als Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon viele Elend, Not und Zerstörung gesehen. Aber das Ausmaß der Verwüstungen in den philippinischen Taifungebieten hat selbst ihn schockiert. "Es war, als ob die Städte von einer Landtsunami getroffen worden wären. Ganze Stadtteile sind dem Boden gleichgemacht. Nur ein paar sehr stabile Bauwerke sind stehengeblieben, aber auch diese haben Schäden davongetragen. Auf weiten Flächen fehlt jede Spur von Besiedlung", sagt der Leiter des Landesbüros der WHO auf den Philippinen nach einer zweitägigen Inspektionsreise durch das Taifungebiet.

Nach dem Erdbeben auf den Philippinen ist das Ausmaß der Zerstörung katastrophal. Foto: dpa

Eine Woche nach dem Taifun zeichnet sich das ganze Ausmaß der Katastrophe immer klarer ab. Die Bilanz der WHO liest sich erschreckend: mehr als 1.000 Tote; 641.000 Menschen haben ihr Hab und Gut ganz oder teilweise verloren; 44.000 sind in Evakuierungszentren untergekommen; 266.000 wurden entweder von Angehörigen aufgenommen oder mussten in provisorischen Notlagern Obdach suchen. In den betroffenen Gebieten sind Strom- und Wasserversorgung zusammengebrochen, es fehlt an Nahrungsmitteln, Decken, Zelten und Medikamenten. Der Zugang zu den betroffenen Regionen ist schwierig. "Mindestens neun Nationalstraßen und Brücken sind zerstört, die Behörden warnen vor Fahrten über das Meer, Flüge wurden gestrichen", beschrieb Ferit Temur, Mitarbeiter der GIZ in Cagayan de Oro, Mitte dieser Woche die Lage.

Eine erste Bilanz aus Thailand: Mehr als 700 Menschen sind in den Fluten ums Leben gekommen

Nach anfänglichem Chaos läuft langsam die Hilfe für die Betroffenen an. Behörden, Kirchen und Hilfsorganisationen koordinieren gemeinsam die Hilfseinsätze. Viele Länder und internationalen Organisationen stellen finanzielle Hilfen zur Verfügung. Die WHO hat an ihre Mitgliedsstaaten appelliert, für die Soforthilfe 28 Millionen Dollar bereitzustellen. Hilfe kommt auch aus Deutschland. Die GIZ, die Caritas, Malteser International, die Diakonie Katastrophenhilfe, der Evangelische Entwicklungsdienst sowie das Auswärtige Amt stocken die Mittel für die Taifunhilfe auf. Es wird aber noch Wochen dauern, bis das Ausmaß der Katastrophe in vollem Umfang bekannt wird. "Die Behörden müssen erst die gesamten Kosten der Zerstörung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und der Landwirtschaft abschätzen", sagt Temur.

Thailand hat bereits eine erste umfangreiche Schadensbilanz des schlimmsten Hochwassers seit 50 Jahren schon aufstellen können. Mehr als 700 Menschen sind in den Fluten umgekommen. Die Rechnung für die materiellen Schäden beläuft sich umgerechnet 32 Milliarden Euro. Darin noch nicht eingerechnet sind die Kosten für den Ausbau von Dämmen, Kanälen und unterirdischen Fluttunnel, um für zukünftige Flutkatastrophen besser gewappnet zu sein.

Erste Schadensbilanz aus Thailand: Die Schäden des Hochwassers belaufen sich auf 32 Milliarden Euro. Foto: dpa

Hinter den nüchternen Zahlen verbergen sich viele Einzelschicksale. Arme Familien haben in dem dreimonatigen Hochwasser ihren gesamten kargen Besitz verloren. Untergegangen sind aber auch Hunderte Fabriken mit zehntausenden Arbeitsplätzen in den Industriezentren von Ayutthaya und Pathum Thani. Und so manche dieser Fabriken wird geschlossen bleiben. Statt die zerstörte Anlagen wieder aufzubauen verlagern einige Unternehmen wie Sanyo ihre Produktion in andere asiatische Länder wie Kambodscha.

Betroffen ist auch der Tourismus, eine der wichtigsten Stützen der thailändischen Volkswirtschaft

Betroffen ist auch der Tourismus, eine der wichtigsten Stützen der thailändischen Volkswirtschaft. Das Hochwasser kurz vor Beginn der Hauptsaison hat viele Urlauber ihre geplanten Weihnachtsferien an sonnigen Gestaden Thailands umdisponieren lassen. Der thailändische Hotelverband rechnet für die Weihnachtstage und Silvester mit einem Einbruch bei den ausländischen Besuchern von 30 Prozent. Aber auch der Inlandstourismus lahmt.

Für die ärmsten der Armen lautet die Frage nicht, ob sie an einer Reise oder einer ausgelassenen Neujahrsfeier sparen sollen, sondern wie sie ihr nacktes Überleben sichern können. Pater Pairat Sriprasert, Leiter von Caritas Thailand, sagt: "Jetzt geht es für die betroffenen Familien darum, ihr Leben aufzubauen. Dazu brauchen sie Geld. Wir werden ab Anfang Januar 2.500 Familien mit je 4.000 Baht (98 Euro) unter die Arme greifen können." Anfang Januar – das ist der Termin, den über vier Millionen Thais in Regionen rings um Bangkok, in denen das Hochwasser noch nicht ganz zurückgegangen ist - sehnsüchtig erwarten. Bis dahin soll, prophezeien Experten, ganz Thailand wieder trocken sein.

Normales Leben trotz Hochwasser? Eine thailändische Frau kocht mitten im Hochwasser auf einem improvisierten Herd auf Rädern. Foto: dpa

Unterdessen hat auch schon die politische Aufarbeitung des stark kritisierten Katastrophenmanagement sowohl der thailändischen Regierung als auch durch die Stadtverwaltung Bangkoks begonnen. Eine neue Qualität hat die bisher stark parteipolitisch geprägten Vorwürfe des Missmanagements – Bangkok wird von den "Gelbhemden", Thailand von den "Rothemden" regiert – durch die Sammelklage von Umweltschützern gewonnen.

In Bangkok ist die Situation schon wieder normal

Die Klage von 352 Thais gegen Bangkoks Gouverneur Sukhumbhand Paribatra sowie Premierministerin Yinluck Shinawatra wird von Srisuwan Janya, Chef der Gruppierung Stop Global Warming Association (SGWA), angeführt. Der Vorwurf: um Bangkok vor einer Überflutung zu schützen seien die Nachbarprovinzen schutzlos dem Hochwasser ausgeliefert worden. Srisuwan Janya hat Erfahrung in der Verklagung von Schwergewichten. 2009 hatte er wegen des Verstoßes gegen Umweltgesetze erfolgreich die Suspendierung eines Dutzends Großprojekte im Industriepark Map Ta Phut durchsetzen können. Map Ta Phut ist weltweit der achtgrößte petrochemische Komplex.

In Bangkok ist die Situation schon wieder normal. Rechtzeitig zu Weihnachten konnten die Sandsackbarrikaden vor Geschäften und Shopping Malls einer üppigen Weihnachtsdekoration weichen. Obwohl die "Stadt der Engel" die Hauptstadt des mehrheitlich buddhistischen Thailands ist, hat es sich zu Weihnachten mit Tannenbäumen und Glitzerlichtern mächtig rausgeputzt.

Freuen auf Weihnachten: In Bangkok gibt es trotz der Naturkatastrophe auch weihnachtliche Dekoration zu kaufen. Foto: dpa

In den Notlagern auf Mindanao gibt es keine weihnachtliche Pracht. Aber so ganz soll Weihnachten nicht ausfallen. Beryl Tranco sagt: "Wir haben alle Hände voll zu tun. Aber irgendwie werden wir es schaffen, auch eine kleine Weihnachtsfeier zu organisieren."


Michael Lenz ist freier Journalist in Südostasien.