Bonn statt Bethlehem: Schnitzen für ein besseres Leben

Bonn statt Bethlehem: Schnitzen für ein besseres Leben
Gerne würde er Weihnachten zuhause bei seiner Familie verbringen: in der Nähe von Bethlehem. Aber Jeries Ghawaly, ein palästinensischer Christ, muss arbeiten: 3000 Kilometer entfernt auf dem Bonner Weihnachtsmarkt. Ein harter Job, der ihm Aussicht auf ein besseres Leben bietet.

Ständig diese Kälte. Jeries Ghawaly ist sie einfach nicht gewohnt. Eingemummelt in ein Palästinensertuch sitzt er in seiner Holzbude auf dem Bonner Weihnachtsmarkt. Der Mann mit den schwarzen Haaren und dem dunklen Teint verkauft Krippen und Holzfiguren aus Olivenholz, die er aus seiner Heimat in Beit Dschala mitgebracht hat – eine Kleinstadt im Westjordanland, die direkt an Bethlehem grenzt.

Während sich seine Frau dort um die drei Kinder kümmert, muss auch der Familienvater im 3000 Kilometer entfernten Bonn hart arbeiten: Zwölf Stunden dauert seine Schicht. Und das sieben Tage die Woche, fünf Wochen lang, bis zum 23. Dezember. Personal stellt er in dieser Zeit nicht ein. Das wäre zu teuer. Er ist ja hier, um Geld zu verdienen.

Jeries Ghawaly ist mittlerweile eine kleine Attraktion auf dem Weihnachtsmarkt: ein palästinensischer Christ, der aus der Region stammt, in der Jesus geboren wurde, und noch dazu Gegenstände verkauft, die an dieses Ereignis erinnern. Und doch: Wie er so dasitzt, allein in seinem Marktstand, wirkt er wie der einsamste Mensch weit und breit.

Bonn statt Bethlehem – warum tut er sich das an?

Glühwein trinkende Jugendliche ziehen vorbei, Familien decken sich für die Adventszeit ein, treffen Freunde. Jeries Ghawaly aber versteht kaum Deutsch. Warum nur hat er den weiten Weg auf sich genommen, um seine Krippen in bitterer Kälte zu verkaufen?

Bild links: In Jeries' Werkstatt stapeln sich die Einzelteile für seine Krippen. Foto: Thomas Becker

Bethlehem, im Sommer 2011. Die Sonne brennt auf Jeries Ghawalys gebräunter Haut. Er sitzt auf einer Bank vor der Geburtskirche Jesu Christi. Gerne würde der Palästinenser heute arbeiten. Aber er hat keinen Auftraggeber gefunden. Er ist gelernter Klempner, nimmt aber auch andere Gelegenheitsjobs an. "Egal was", sagt er. Hauptsache Arbeit.

Heute, an seinem freien Tag, besucht er Werkstätten, die ihn mit Ware für den Weihnachtsmarkt beliefern. Sein Weg führt vorbei an der Geburtskirche, neben der sich ein Krippengeschäft an das nächste reiht. "Die meisten Einwohner", sagt Jeries Ghawaly, "leben vom Tourismus." Das gilt auch für die Krippenschnitzer. Touristen aus aller Welt kaufen ihre Waren.

Alle Krippen in Handarbeit gefertigt

Wenn sie denn nach Bethlehem kommen. Die Stadt liegt in den palästinensischen Gebieten. Während der Zweiten Intifada, die bis 2005 dauerte, wagte sich kaum ein Reisender hierher. Erst seit drei, vier Jahren kommen wieder vermehrt Touristen in Reisebussen. "Viele besuchen aber nur schnell die Geburtskirche und verlassen die Stadt wieder", sagt der 37-Jährige. "Die kleinen Ladenbesitzer profitieren kaum."

Auch deswegen hat er sich entschieden, Krippen und Olivenholzschnitzereien zu exportieren, die alle in Handarbeit gefertigt werden. Wie Steinmetze arbeiten Schnitzer wieGhawaly feinste Details in ihr Material. Je nach Größe braucht er 20 bis 30 Tage für eine Krippe. "Sie wird von Jahr zu Jahr schöner, das Holz bildet eine Patina", sagt Jeries Ghawaly.

Nach dem Besuch der Werkstätten steigt er in sein Auto und spricht über ein Thema, das die Gemüter in der Region und weltweit bewegt: die Mauer. Vor acht Jahren hat Israel begonnen, sie zu bauen. Mehr als 700 Kilometer soll sie einmal lang sein, wenn sie fertig ist. Aber schon jetzt trennt sie nicht nur das Westjordanland und Gaza von Israel, sondern schnürt auch ganze Ortschaften innerhalb der palästinensischen Gebiete vom Umland ab.

"Wer kann, geht weg von hier"

Besonders betroffen sind Orte wie Bethlehem und Beit Dschala. Die Einwohner leben wie in einem Freiluftgefängnis, umgeben von einer bis zu acht Meter hohen Mauer. Mit verheerenden Folgen: Die Wirtschaft liegt brach, die Arbeitslosenquote beträgt rund 30 Prozent, die medizinische Versorgung ist katastrophal. "Wer irgendwie kann, geht weg von hier", sagt Jeries Ghawaly.

Bild links: Jeries Ghawaly mit seiner Familie in Beit Dschala. Foto: Thomas Becker

Insbesondere Christen verlassen die Region. Laut Angaben des Ökumenischen Rats der Kirchen ist ihre Anzahl in Bethlehem von 70 Prozent im Jahr 1948 auf heute rund 25 Prozent zurückgegangen – Tendenz: weiter fallend. "Früher war es auch das Hauptziel in meinem Leben, die die Region zu verlassen", sagt Jeries Ghawaly. Er und seine Familie sind dennoch geblieben – weil sie sich um die pflegebedürftige Mutter seiner Frau kümmern müssen.

Froh ist der Krippenverkäufer heute darüber, dass er seiner Familie heute wenigstens eine bescheidene Perspektive bieten kann, indem er Olivenholzfiguren auf dem Bonner Weihnachtsmarkt verkauft. Die Idee dazu entstand vor fünf Jahren, als Jeries seinen Bruder besuchte, der vor mehr als zwei Jahrzehnten nach Deutschland geflohen war und damals in Bonn wohnte. Die Brüder besuchten den Weihnachtsmarkt. Plötzlich hatten sie eine Idee: Jeries könnte Krippen in Bonn verkaufen. Zumindest für sechs Wochen im Jahr.

Unerwartete Hilfe

Sein Bruder meldete im folgenden Sommer bei den Marktbetreibern in Bonn einen Verkaufsstand an. "Die harte Arbeit hat sich anfangs nicht rentiert", bilanziert Jeries. Es wäre wohl bei einer einmaligen Verkaufsaktion geblieben. Doch es geschah etwas, womit der Krippenverkäufer nicht rechnete: Er bekam unerwartet Hilfe von einem älteren Ehepaar. "Tante" und "Onkel" nennt Jeries die beiden mittlerweile. Gemeint sind Sigrid und Günther von Holst aus Königswinter. "Nur dank ihrer Hilfe kann ich jedes Jahr wiederkommen."

Am 23. Dezember wird er seine Zelte abbrechen und ein paar Tage bei seinem Bruder verbringen, der mittlerweile in Ulm wohnt. Danach geht es wieder zurück in die Heimat. Zurück zu seiner Familie ins ummauerte Beit Dschala. Irgendwann, hofft der Palästinenser, wird dort ein normales Leben möglich sein. "Wir sind müde und wünschen uns nichts mehr als ein Leben in Frieden und Freiheit." Seine Hoffnungen legt der Krippenverkäufer bereits in seine Kinder: "Vielleicht werden sie das irgendwann erleben."


Thomas Becker ist freier Journalist und lebt in Düsseldorf.