"Bilde dir nichts auf dein Amt ein" - Filmautor lernt vom Nikolaus

"Bilde dir nichts auf dein Amt ein" - Filmautor lernt vom Nikolaus
Für die Reihe "Menschen unter uns" portraitierte der Fernsehjournalist Andreas Malessa den EKD-Ratsvorsitzenden und rheinischen Präses Nikolaus Schneider. Der Film läuft an diesem Sonntag, dem 4. Dezember, ab 10.30 Uhr unter dem Titel "Der Nikolaus ist evangelisch" im Südwestrundfunk. Autor Malessa erzählt im Interview mit evangelisch.de, wie er Schneider bei den Dreharbeiten kennengelernt hat: Als versierten, aber bescheidenen Theologen mit Herz für die kleinen Leute und Talent zum Tennisspielen.
02.12.2011
Die Fragen stellte Anne Kampf

Warum und wozu ein Film über Nikolaus Schneider?

Andreas Malessa: In unserer Serie "Menschen unter uns" stellen wir interessante, außergewöhnliche, meist unprominente Leute vor, in deren Leben Religiosität und Spiritualität Auswirkungen habe. Hin und wieder auch mal Prominente, die man möglicherweise noch nicht persönlich kennt. Der Ressortleiter der Redaktion Kirche und Gesellschaft des Südwestrundfunks bat mich, Nikolaus Schneider zu portraitieren, weil ich das früher schon mit Anselm Grün, Margot Käßmann, Wolfgang Huber, Kardinal Karl Lehmann und anderen getan hatte. Ich habe mich beim SWR-Fernsehen offenbar als - sagen wir mal - "Kirchenfürstenporträtist" bewährt, und so war das ein Vorschlag vom Sender.

Entspricht es dem Amtsverständnis eines evangelischen Kirchenmannes, einen Amtsträger so persönlich in den Vordergrund zu stellen?

Malessa: Nicht wir stellen ihn in den Vordergrund, sondern er hat sein öffentliches Amt von der EKD-Synode bzw. vom Rat der EKD bekommen. Ob es dem evangelischen Selbstverständnis entspricht? Ich würde mal sagen: Solange die Kirche Bischöfe hat, die als solche ihre Landeskirche - oder in seinem Fall ja alle 22 Landeskirchen - repräsentieren, finde ich es das berechtigte Anliegen eines öffentlich-rechtlichen Mediums, aber auch der Zuschauerschaft, etwas mehr über ihn zu erfahren. Und das nicht boulevardesk, als platte Homestory, nach dem Motto "was isst der Kardinal am Aschermittwoch ?", sondern seriös und ein bisschen tiefer gehend: Wie ist sein Werdegang? Was bewegt ihn? Was will er? Es geht darum, ihn als Menschen kennenzulernen und nicht nur als Funktionsträger.

An welchen Orten haben Sie mit Nikolaus Schneider gedreht?

Malessa: Beim Kirchentag in Dresden, beim Johannisempfang der EKD in Berlin, beim Treffen mit dem Papst in Erfurt und zuhause in Düsseldorf.

Und laut den Pressefotos auch in einer Tennishalle und in einem Stahlwerk…

Malessa: … im Stahlwerk, weil das der Arbeitsplatz seines Vaters war, und in der Tennishalle, weil er dort gegen seine Tochter spielte.

Wer hat gewonnen?

Malessa: Er! Zu unserem Erstaunen.

War es lustig mit Herrn Schneider?

Malessa: Superlustig. Das ist doch das Tolle: Wenn man nicht voyeuristisch, sondern seriös journalistisch Menschen portraitiert, die eben auch Menschen geblieben sind und sich nicht hinter ihrem Amt verstecken oder nur in ihrem Amte aufgehen und immer nur ex cathedra antworten, dann werden diese Menschen mir als Autor des Films - und ich hoffe aber eben auch den Zuschauern - sympathisch. Ihre Haltungen und Meinungen, ihre theologischen oder politischen Positionen werden nachvollziehbar. Deswegen muss man die nicht alle teilen, aber sie werden nachvollziehbar. Meine Aufgabe verstehe ich so: Ich möchte gerne mit der gebotenen journalistischen Distanz und der erforderlichen persönlichen Nähe den Menschen hinter dem Funktionsträger, seine Hintergründe und seine Herkunft und sein "Sosein" sichtbar machen.

Gab es Überraschungen für Sie - Dinge, die Sie vom Ratsvorsitzenden so nicht gewusst und gedacht haben?

Malessa: Ja! Erstens: Eine ganz große Wertschätzung der einfachen Menschen. Mit "einfach" meine ich jetzt mal: nicht übermäßig gebildet oder wohlhabend. Es klingt jetzt ein bisschen pathetisch, aber wirklich seine Wertschätzung des "kleinen Mannes". Das hat mich überrascht und beeindruckt. Dieses aber dann gepaart mit großer theologischer Tiefe und Reflexion. Der Mann ist von seinem Theologenhandwerk her unheimlich beschlagen, lässt das aber nicht raushängen. Einen Theologen kennenzulernen, der es von seiner fachlichen Augenhöhe mit jedem anderen in der Diskussion aufnehmen kann, ohne dass er deswegen das Image des Großintellektuellen hätte, das hat mich überrascht.

Und dass er andersrum aber nicht etwa nur mit Kumpelhaftigkeit Punkte macht, sondern mit Geradlinigkeit. Nehmen Sie nur als Beispiel, dass er 2012 die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen bekommt. Das ist eine Auszeichnung für seine Leistungen im jüdisch-christlichen Dialog. Deswegen war er beim Kirchentag auf einer Veranstaltung zum 50-jährigen Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen. Und da sitzt der Dieter Graumann auf der Bühne, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, und sagt den Satz - der kommt auch in meinem Film vor - "Jüdisch-evangelisch, da kann ich nur sagen: Alles ist gut." Sowas aus dem Munde des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden - das gibt's nicht geschenkt. Das müssen Sie sich erarbeitet haben.

Der Film heißt "Der Nikolaus ist evangelisch". Was hat Nikolaus Schneider mit dem echten Nikolaus gemeinsam?

Malessa: Oh! Mit dem historischen oder mit dem volkstümlichen?

Mit dem echten!

Malessa: Mit dem historischen Bischof von Myra? Fürsorge. Solidarität mit den Armen. Eine Verantwortung für sozialpolitische Zusammenhänge. Er hat nicht die große Wundertüte, aus der er jetzt verteilen könnte, er kommt nicht als Geschenke-Onkel. Aber wenn die Legende historisch belegbar ist, dass der Bischof von Myra eine Hungersnot in seiner Stadt dadurch verhindert hat, dass er die Schiffsbesatzungen am Auslaufen hinderte, bevor sie nicht ihre Weizensäcke ausgeladen hatten, wenn diese Legende so halbwegs stimmt, dass sich der Bischof bei den Reedern und Kapitänen für die Hungernden seiner Stadt einsetzt, dann kann man das mit etwas Phantasie übertragen auf Nikolaus Schneider, der als Ratsvorsitzender der EKD den sozialdiakonischen Auftrag seiner Kirche hochhält, die Exzesse des Neoliberalismus kritisiert und ein Herz für die Benachteiligten hat. Aber das war ehrlich gesagt nicht der Grund, diesen Filmtitel zu wählen. Wenn Sie mal eine Fernsehprogramm-zeitschrift aufschlagen: Wir müssen halt auch ein bisschen mit dem Speck nach der Wurst werfen und darauf hoffen, dass ein humoriger oder augenzwinkernd gemeinter Titel uns ein paar Zuschauer bringt.

Als Journalist lernt man ja bei jedem Text oder Film, den man macht, auch etwas für sich. Was haben Sie persönlich gelernt?

Malessa: Bilde dir nichts auf dein Amt ein. Übe dein Amt aus, so gut du kannst, aber bleibe dabei getrost du selbst. Das habe ich von Nikolaus Schneider gelernt während der Dreharbeiten.


Andreas Malessa ist Hörfunk- und Fernsehjournalist in der ARD und evangelisch-freikirchlicher Theologe.

Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de