Geld statt Gott: Kritik an Wirtschaftsgipfel im Michel

Geld statt Gott: Kritik an Wirtschaftsgipfel im Michel
Der Dialog zwischen Kirche und Wirtschaft ist oft genug schwierig. Während Banken und Unternehmen auf Profite setzen, pocht die Kirche darauf, den Menschen nicht aus den Augen zu verlieren. Ist vor diesem Hintergrund ein Gotteshaus der geeignete Ort für einen Wirtschaftsgipfel? Die Frage wird gegenwärtig in Hamburg heiß diskutiert. Denn ausgerechnet im Michel veranstaltet die "Zeit" am Freitag das Deutsche Wirtschaftsforum - die Eintrittspreise sind schwindelerregend.
30.11.2011
Von Bernd Buchner

René Obermann ist da, Philipp Rösler hat zugesagt, Josef Ackermann steht auf der Rednerliste und sogar Helmut Schmidt gibt sich die Ehre: Zum dritten Mal lädt die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" am Freitag zum Deutschen Wirtschaftsforum ein. Offizielles Thema der hochkarätig besetzten Konferenz: die Rolle des Unternehmertums. Ort: die "gute Stube" der Hansestadt, die ehrwürdige Hauptkirche Sankt Michaelis.

Die weltweite Finanzkrise und das Euro-Desaster überschatten das Treffen. Über den schnöden Mammon ausgerechnet in einem Gotteshaus zu sprechen, mitten in der besinnlichen Adventszeit: Viele halten das für keine gelungene Idee. Der Veranstaltungsort sei ein "Skandal", schreibt der ehemalige Staatsrat Dirk Reimers im "Hamburger Abendblatt". Er wirft den Referenten und Gästen vor, an der "Huldigung des Kommerzes und der schleichenden Zerstörung letzter Besinnungsräume" mitzuwirken. Die Folgen tauchten in keiner Bilanz auf, so Reimers weiter, "aber die Gesellschaft verliert ihre Wurzeln".

Verkauft die Kirche ihre Seele?

Der Jurist und Ex-Polizeipräsident der Hansestadt sieht eine schleichende Erosion von Werten, die auch Agnostikern und Atheisten nicht gleichgültig sein dürfe. Reimers äußert zwar Verständnis für eine klamme Kirche, die auf der Suche nach Geldmitteln ist, "und vielleicht ist der Besuch der Mächtigen schmeichelhaft". Dafür dürfe sie aber nicht "ihre Seele verkaufen". Und den Michel gleich mit, auch wenn der nur für einen Tag vermietet wird.

Helmut Schmidt (links) und "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe beim Deutschen Wirtschaftsforum im vergangenen Jahr im Hamburger Michel. Die Großveranstaltung findet zum dritten Mal statt. Foto: dpa/Fabian Bimmer

Wer den Aufmarsch der Polit- und Wirtschaftspromis aus der Nähe sehen will, muss im übrigen tief in die Tasche greifen. 1.350 Euro kostet am Freitag der Michel-Eintritt – zuzüglich Mehrwertsteuer macht das genau 1.606 Euro. Ein normaler Hartz-IV-Empfänger muss mit dem Geld fast viereinhalb Monate auskommen. Die Sprecherin der "Zeit", Silvie Rundel, betont hingegen, im Vergleich zu anderen Konferenzen dieser Größenordnung liege der Preis "eher im unteren Mittelmaß". Frühbucher und Abonnenten des Blatts kommen günstiger weg. Sie zahlen höchstens vier Hartz-Monatsraten.

Rundel versteht die Empörung von Reimers nicht. Schließlich sei die Veranstaltung gemeinsam mit der evangelischen Kirche ins Leben gerufen worden. "Fragen von Wirtschaft und Ethik" spielten dabei eine große Rolle, so die Pressefrau. Sie verweist auf den Benediktiner-Abtprimas Notker Wolf, der den Wirtschaftsbossen bei dem Treffen vor Jahresfrist ins Gewissen redete, oder die Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler, die in bewegenden Worten über ihr Scheitern sprach.

Luther kennt keine heiligen Räume

Gerade dass sich Wirtschaftsleute in einer Kirche "näher und ehrlicher" äußern als anderswo, ist für Peer-Detlev Schladebusch ein Pluspunkt des Treffens. Der evangelische Pastor, der für den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt in Hannover tätig ist, hat die Veranstaltungsreihe mit ins Leben gerufen und spricht mit Blick auf die Ortswahl von einem "Spannungsfeld". Für Martin Luther aber gebe es keine heiligen Räume, so Schladebusch im Gespräch mit evangelisch.de – und die EKD nenne den Hamburger Michel im Impulspapier "Kirche der Freiheit" ausdrücklich als geeigneten Ort für den Dialog von Kirche und Wirtschaft (dort Seite 100, Anm. der Red.).

Reimers hingegen hält an seiner Kritik fest. Nach seinem "Abendblatt"-Zwischenruf unter der markigen Überschrift "Die Seele und den Michel verkauft" erhielt er nach eigenem Bekunden überwältigende Zustimmung. "Sie haben einen Nerv getroffen", hätten ihm viele Menschen gesagt. Der ehemalige Innen-Staatsrat, der vor Jahren aus der Kirche austrat, bezeichnet sich selbst als Agnostiker. "Ich sehe aber, dass Religion hilft und ein Ort des Trostes ist. Das will ich verteidigen", sagt er zu evangelisch.de.

Der Name des Kirchenpatrons Michael heißt übrigens so viel wie "Wer ist wie Gott?" Zwar werden die Ober- und Ackermänner den Michel am Freitag nicht gleich mit einem goldenes Kalb verunzieren oder gar zur Räuberhöhle machen, wie es in der berühmten Geschichte von der Tempelreinigung heißt. Aber an Jesu Wort können die Wirtschaftsbosse ruhig denken: "Mein Haus soll ein Bethaus sein." Michel-Hauptpastor Alexander Röder, dem wie in den Vorjahren die Aufgabe zufällt, die Tagung zu eröffnen, hat deswegen einen festen Vorsatz: "Ich werde auf jeden Fall einen geistlichen Impuls an den Anfang stellen."


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.