Arabischer Frühling: Auch der Islam bekommt neue Blüten

Arabischer Frühling: Auch der Islam bekommt neue Blüten
In Ägypten hat der arabische Frühling auch das Verhältnis vieler Menschen zur Religion verändert. Der Wunsch nach Freiheit macht vor den islamistischen Organisationen nicht Halt. Selbst in der Muslimbruderschaft wird die Jugend jetzt aufmüpfig.
24.10.2011
Von Julia Gerlach

Es gibt einen neuen Trend in Ägypten: Viele Frauen tragen knallbunte Kopftücher mit großen Blumen darauf. Sie werden nicht streng ums Gesicht gesteckt, sondern locker im Nacken geknotet, und viele zeigen sogar ein paar Strähnen Pony. Die Revolution am Nil hat nicht nur die Regierung gestürzt und die Gesellschaft aufgerüttelt, sie hat auch den Islam und das Verhältnis der Menschen zu ihrer Religion verändert.

Dabei sind die Ägypter durch die Demonstrationen nicht weniger gläubig geworden. Ägypten ist ein sehr religiöses Land, und für viele Jugendliche der Revolution gehört das gemeinsame Gebet vor den wöchentlichen Freitagsdemonstrationen ganz selbstverständlich dazu. Das gilt für Muslime, die sich als Liberale bezeichnen, ebenso wie für solche, die sich politisch im konservativen Lager verorten.

"Natürlich bete ich, was für eine Frage", sagt Emad Hussini, ein 27-jähriger Aktivist. Er trägt ein eng anliegendes T-Shirt, Haare im Bob-Marley-Look und auch die Hornbrille, die zurzeit so angesagt ist. Emad bezeichnet sich als liberal. Dass ihm der Islam wichtig ist und er auch möchte, dass die Religion im politischen System eine Rolle spielt, steht dazu nicht im Widerspruch.

Religiöse Politiker sind gut, Politik im Namen des Islam nicht

"Ich will einen Präsidenten, der Muslim ist und sich an die Gebote des Islam hält. Das ist der beste Schutz gegen Diktatur und Korruption, denn so etwas ist gottesfürchtigen Menschen verboten", sagt er mit Blick auf die für Ende November geplanten Wahlen. Das hört sich fast so an, wie das, was die fundamentalistischen Muslimbrüder sagen. Doch mit der Bruderschaft wollen Emad und seine Freunde nichts zu tun haben.

Er macht eine feine Unterscheidung: Religiöse Politiker sind gut. Politik im Namen des Islam lehnt er jedoch ab. Besonders, weil diese leicht in Konflikte mit anderen Religionen mündet. Schuld an solchen Konflikten sind in den Augen vieler Jugendlicher islamistische Politiker, die gegen Andersgläubige hetzen.

Erst Anfang Oktober waren bei Auseinandersetzungen zwischen koptischen Christen und Sicherheitskräften mindestens 26 Menschen getötet worden. Auslöser war ein Protest der Kopten gegen einen Anschlag auf eine Kirche, für den sie radikale Muslime verantwortlich machen.

Ihr Glaube sei eine Angelegenheit zwischen ihr und Gott, urteilt die 23-jährige Graffiti-Künstlerin Youssra Mineim, die ihr Kopftuch auf lässige Art trägt. Ihre gehe es vor allem darum, ein bisschen mehr persönliche Freiheit zu bekommen. "Wir brauchen Platz zum Atmen", sagt sie.

Gefragt sind Konzepte zur Reform von Staat und Wirtschaft

Der Wunsch nach Freiheit macht aber auch vor den islamistischen Organisationen nicht Halt. Die Muslimbruderschaft wird seit Monaten von einer internen Revolte erschüttert. Zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte - 1928 wurde sie von Hassan al Banna gegründet - wird öffentlich diskutiert.

"Bisher wurden wir verfolgt, und die Leute haben gut zusammengehalten, um uns zu schützen, aber jetzt gibt es Freiheit, und es ist nicht mehr einzusehen, dass wir nicht mitentscheiden dürfen", sagt Iman Mohammed. Die 22-Jährige fordert mehr Mitsprache für die Jugend und auch die Frauen sollten stärker beteiligt werden, findet sie.

Mit zahlreichen anderen jungen Muslimbrüdern und -schwestern hat sie jetzt eine Partei gegründet. Damit widersetzen sie sich der Anweisung ihres Anführers Mohammed Badia. Er hatte befohlen, dass alle seine Mitglieder in den politischen Arm der Bruderschaft eintreten müssen, die "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit".

Nicht nur die aufmüpfige Jugend, auch die Parteiengründung stellt die Bruderschaft vor neue Herausforderungen. Jetzt braucht sie ein Programm. Gefragt sind dabei weniger islamische Parolen - zumal die Mehrheit der Ägypter ja sowieso fromm ist - sondern Konzepte zur Reform des Staates und der Wirtschaft. So ist auch unter den Politikern der Muslimbruderschaft ein Trend zu einer Trennung von Islam und Politik zu beobachten.

Selbst die Salafisten gründen jetzt Parteien

Drastisch sind die Veränderungen auch bei den Salafisten, die sehr texttreu sind und Wert auf genaue Einhaltung der Gebote der Glaubenspraxis legen. Noch im Januar predigten salafistische Scheichs, dass Demonstrationen gegen einen Herrscher - und sei er auch ungerecht - nach islamischen Regeln nicht erlaubt seien. Demokratie und Wahlen lehnten sie ab, denn nur Gott allein habe das Recht, Gesetze zu erlassen.

Doch inzwischen gründen auch die Salafisten Parteien. Das bedeutet, dass auch sie auf Dauer nicht mehr nur über die richtige Gebetshaltung und Verschleierungstechnik für Frauen diskutieren können, sondern sich mit Wirtschaftsstrategien und Verwaltungsfragen beschäftigen müssen. Der Grundstein für etwas Neues ist auch bei ihnen gelegt.

Der arabische Frühling ist so ganz nebenbei auch ein Frühling des Islam geworden. Alte Strukturen werden aufgebrochen und ein neues Selbstverständnis gesucht. Nicht nur die Kopftücher, auch der Islam bekommt neue Blüten. 

epd