Pflegereform: Die Koalition kann sich nicht einigen

Pflegereform: Die Koalition kann sich nicht einigen
Kommende Woche will Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr die Eckpunkte zur Pflegereform vorstellen. Angeblich laufen die Verhandlungen der Koalition "konstruktiv". Wäre da nicht CSU-Chef Horst Seehofer. Der schießt aus Bayern kräftig gegen die Einigungsversuche. Seehofer will Demenzkranke aus der Pflegeversicherung ausschließen. Geht es nach seinem Willen, soll für sie der Steuerzahler aufkommen.
17.09.2011
Von Bettina Markmeyer

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will die Eckpunkte zur Pflegereform am 23. September vorstellen. Bis dahin wollen CDU, CSU und FDP sich einig sein. Die Fachpolitiker verhandeln seit Wochen hinter verschlossenen Türen und halten sich mit Auskünften bedeckt. Die Gespräche liefen gut, heißt es lediglich aus allen drei Fraktionen auf Anfrage, "sehr konstruktiv", lobte noch in dieser Woche die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus.

Wäre da nicht CSU-Chef Horst Seehofer, der von München aus kräftig querschießt. Der bayerische Ministerpräsident hat begonnen, den Preis für eine Einigung hochzuschrauben. Dabei spielen Länderinteressen eine Rolle, die mit der Pflege eigentlich nichts zu tun haben. Im bayerischen Sozialministerium hat man ein sogenanntes "Bundesleistungsgesetz" ausgetüftelt, das einer eigenwilligen Logik folgt: Die Steuerzahler sollen für demenzkranke und behinderte Menschen aufkommen. Deren Pflege und Unterstützung kostet viel Geld. Der größte Posten ist die sogenannte Eingliederungshilfe, die staatliche Unterstützung behinderter Menschen, die den Ländern zu teuer wird.

Die Koalition gerät unter Verdacht, die Pflegereform nicht anpacken zu wollen

Setzte sich der Seehofer-Vorschlag durch, hieße das: Die Pflegereform kommt, und die Demenzkranken gehen. Sie würden aus der Pflegeversicherung ausgeschlossen und dem Wohl und Wehe des Staatshaushalts überlassen. Das Modell aus München steht damit komplett im Widerspruch zu allem, worüber die Koalitionäre in Berlin derzeit verhandeln. Es bedeutete außerdem, dass der Finanzminister weitere Schulden machen müsste, allein für die Behinderten zwölf Milliarden Euro pro Jahr. Deshalb darf Seehofers Vorstoß getrost als Erhöhung der Verhandlungsmasse verstanden werden, um die FDP daran zu hindern, ihre Idee von der individuellen, privaten Pflege-Zusatzversicherung durchzusetzen.

Berliner Unterhändler betonen, das Seehofer-Modell habe bisher keine Rolle gespielt. Gesundheitsminister Bahr weiß indes, dass der Vorschlag die Verhandlungen verkomplizieren und möglicherweise verzögern wird. Verschöbe er aber den lange angekündigten Eckpunkte-Termin, geriete die Koalition in den Verdacht, die Pflegereform wieder nicht anpacken zu wollen. Bahrs Vorgänger Rösler hatte die Pläne für die Gesetzgebung ursprünglich im Sommer und nicht erst Anfang Herbst vorlegen wollen.

Die Reform-Eckpunkte sollen bessere Leistungen für Demenzkranke enthalten

Die Reform-Eckpunkte sollen einen langfristig wirkenden Finanzierungsvorschlag für die Pflege enthalten und bessere Leistungen für Demenzkranke und für pflegende Angehörige. Sicher ist, dass Bahr einen Kapitalstock vorsehen wird, offen ist aber, in welcher Form die Bürger dafür zahlen sollen. Offen ist auch, ob die Rücklagen in individualisierter Form für jeden einzelnen Versicherten (FDP-Modell) oder kollektiv für alle (CDU-Modell) verwaltet werden sollen.

Seehofer hatte zu Beginn dieses Jahres wider besseres Wissen verkündet, es werde keine höheren Beiträge für die Pflegeversicherung geben und präsentiert deshalb nun sein "Bundesleistungsgesetz" auf Staatskosten. Die CSU-Fachpolitiker in Berlin stellen sich hingegen einer Beitragserhöhung nicht in den Weg. Sie haben sie - ebenso wie ihre CDU-Kollegen - vielmehr selbst ins Gespräch gebracht, um den kollektiven Kapitalstock und mehr Leistungen für Demenzkranke zu finanzieren. Die Lage ist unübersichtlich. Die Appelle der FDP an die Union, sich intern zu verständigen, werden lauter.

Unklar ist auch, welche Vorgaben der Pflege-Beirat unter dem früheren Diakonie-Präsidenten Jürgen Gohde erhalten wird. Davon hängen aber die künftigen Leistungsansprüche der Demenzkranken direkt ab. Denn das Gohde-Gremium soll ausrechnen und austarieren, was einzelne Schritte kosten dürfen. Was aber der Beirat tun soll, wenn sich die Koalition nicht auf eine Finanzierung verständigen kann, ist offen.

epd