Kostenfalle Games: Großes Spiel, kleine Tragödien

Kostenfalle Games: Großes Spiel, kleine Tragödien
Bei der Messe Gamescom in Köln wird deutlich: Die Spielebranche gewinnt an positivem Image - tut aber zu wenig gegen Kostenfallen, in die Kinder und Jugendliche geraten.
20.08.2011
Von Ralf Siepmann

Die Piraten warten beim "Seafight" schon auf Mitspieler. "Farmerama" lockt mit der Aussicht: "Werde der Held auf dem Feld!" Und all dies kostenlos, versprechen Anbieter von Browser - und Online-Games. Doch ist dies nicht die ganze Wahrheit der Wunderwelt der Spiele. "Regelmäßig", sagt Karin Thomas-Martin, Beraterin Telekommunikation bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, "stehen Kinder oder ihre Mütter tränenüberströmt bei uns in der Tür und wissen nicht mehr weiter". Auf etwa 15 pro Jahr taxiert sie allein im Ländle die Zahl der Fälle, in denen Kinder und Jugendliche in Games-Kostenfallen hineingetappt sind und sich "leicht mit Forderungen der Bezahlsystemanbieter von 2.000 Euro oder auch mehr konfrontiert sehen".

Die Zahl der kleinen Privatkatastrophen, die bekannt werden, mag überschaubar erscheinen. Ihre Dunkelziffer gilt als beträchtlich. So mochte auch keiner der Teilnehmer einer Expertendiskussion beim Fachkongress im Rahmen der Kölner Spielemesse Gamescom allein wegen der Größenordnung das Problem einfach wegschieben. Verdienstvoll genug, dass Irritationen und medienethische Fragestellungen rund um die Bezahlpraxis bei Online-Games und Item Selling überhaupt ein Forum bei dem Spektakel erhielt, mit dem sich die Branche zunächst einmal selbst feiert.

In fast jedem zweiten Haushalt wird digital gespielt

"Item Selling" umschreibt den Verkauf virtueller Spielgüter und zugleich eines der zukunftsweisenden Erlösmodelle der Branche. Für das erste Halbjahr 2011 gehe man auf diesem Feld von einem Wachstum um 30 Prozent auf 47 Millionen Euro Umsatz aus, teilte der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) mit. Es ist eines von mehreren Marktsegmenten der Branche, die geradezu boomen. Und zugleich Kinder und Jugendliche im Rausch der Spiele sowie deren Eltern in finanzielle Miseren stürzen können.

[listbox:title=Mehr im Netz[Messe Gamescom##Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU)]]

Nach Angaben des BIU spielen 45 Prozent der Haushalte mit Kindern in einem Alter bis neun Jahre sowie der Haushalte mit Kindern und Jugendlichen von zehn bis 19 Jahren. Ein Viertel der Content-Verkäufe im Spielemarkt, berichtete Thomas-Martin, gehe auf das Konto von Minderjährigen. Der Haken: Die Bezahlpraktiken, vor allem der Austausch zwischen Anbieter und Spieler mittels Telefon und Handy (0900-Nummern), sind nicht so ausgelegt, dass unliebsame Überraschungen wie Umgehungsmöglichkeiten gegen null gehen. Die Konsequenz laut Thomas-Martin: "Kinder bekommen nicht mit, dass sie das Geld ihrer Eltern oder überhaupt Geld ausgeben."

Selbstverpflichtung angemahnt

Das Phänomen der verdeckten oder nicht erkannten Game-Maut hat eine Reihe von Ursachen. Wie die Experten unterstrichen, fehlt es an einem "intelligenten verlässlichen Altersidentifikationsmodell" für Onlinespiele. Identifikationshürden können mit einfachen Mitteln umgangen oder ausgetrickst werden. Die kostensensible Kommunikation im E-Commerce-Sektor via Telefon nimmt zwar weltweit tendenziell ab. Doch braucht es noch viel Zeit, wie Michael Müller, Chef von paysafecard.com, darlegte, bis sich bankenrechtlich akzeptierte Nachfolgemodelle wie die Prepaid-Karte europa- oder gar weltweit durchsetzen. Thomas-Martin plädierte dafür, vorrangig die Spieleindustrie in die Pflicht zu nehmen und nicht auf den Gesetzgeber zu warten: "Es traurig zu beobachten, dass es noch nicht zu einer Selbstverpflichtung der gesamten Branche gekommen ist."

Ihrer Darlegung zufolge käme man auch in kleinen Schritten weiter. Etwa via Pop-up-Fenster, die sich während des Spielens immer mal wieder öffnen und an den Spieler appellieren könnten: "Ist Dir bewusst, dass Du gerade Geld Deiner Eltern ausgibst?" Etwa durch den Verzicht auf niederschwellige Bezahlmodelle, die mit dazu beitragen, dass aus Spiel Sog wird, am Ende vielleicht Sucht, von der wiederum die Industrie profitiert. Beispielsweise durch systematische Aufklärung und Schulung von Kindern und Eltern – durchaus in Verbindung mit generellen Programmen zur Vermittlung von Medienkompetenz. Den Satz, man dürfe die Eltern nicht aus der Verantwortung nehmen, bekräftigen in Köln alle. Die Frage, wie dann Mütter und Väter in bildungsfernen Schichten erreicht werden könnten, blieb freilich unbeantwortet, einmal mehr.

"Längst etablierte Branche"

Für die Gamesbranche argumentierten der Rechtsanwalt Claas Oehler, Justiziar des Bundesverbandes der Entwickler von Computerspielen, und Thomas Zeitner, Ex Geschäftsführer von Electronic Arts Deutschland, die Unternehmen benötigten große Spielräume für Kreativität und keine zu engen Regulierungen. Man sei offen für Lösungsansätze. Diese dürften jedoch nicht statisch sein. Die Gamesbranche befinde sich in einer dynamischen Entwicklung. So komme es mehr und mehr zu Verschmelzungen von Spielen und sozialen Netzwerken. Die Verbraucherschützerin ließ jedoch nicht locker: "Die Branche hat sich so stark etabliert, tolle Spiele entwickelt und ihr Image verbessert. Da müsste es doch auch möglich sein, dieses vergleichsweise kleine Problem zu lösen."

In der Tat zeigt eine aktuelle Untersuchung im Auftrag des BIU die "Daddler" in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Danach spielen 23 Millionen Deutsche regelmäßig am Computer oder an der Konsole, mithin ist jeder dritte Bundesbürger Gamer. Knapp zehn Millionen sind Frauen. Die Gamer finden sich in allen Bildungsschichten sowie Altersstufen. Die Studie, so der BIU, widerlege das gängige Klischee, Gamer seien männlich, lediglich, jung. Wohl Anlass genug, nun auch den kleinen privaten Finanztragödien mancher young gamer den Boden zu entziehen.


Ralf Siepmann ist Medienjournalist und freier Autor in Bonn.