Kirche will neue Steuer als "Option für die Schwachen"

Kirche will neue Steuer als "Option für die Schwachen"
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern setzt sich mit einer breit angelegten Unterschriftenaktion für die Einführung der Finanztransaktionssteuer ein. Mit der Steuer, die eine "Option für die Schwachen" in der Gesellschaft ist, sollen die Auswirkungen der Finanzkrise im Sozialbereich abgemildert und die Märkte stabilisiert werden. Ein Gespräch mit dem Finanzchef der bayerischen Landeskirche, Claus Meier.
09.08.2011
Die Fragen stellte Achim Schmid

Warum macht sich die Kirche für die Finanztransaktionssteuer stark?

Meier: Die schwere Finanzkrise hat auch Christen ganz deutlich vor Augen geführt, welche katastrophalen Folgen wirtschaftliche Gier für die gesamte Gesellschaft hat. Aus der Finanzkrise wurde eine Wirtschaftskrise, verbunden mit einer Staatskrise. Um die gewaltige gesellschaftliche Verschuldung abzubauen, sind große Einschnitte in den Bundeshaushalt nötig. Die Hälfte der Ausgaben des Bundes macht der Sozialbereich aus, weshalb die Sozialausgaben zwangsläufig in besonderem Maße von den erforderlichen Kürzungen betroffen sind.

Damit diese Einschnitte zumindest abgemildert werden können, setzt sich die Kirche für die Finanztransaktionssteuer als neue Geldquelle ein. Nach objektiven Schätzungen, wie etwa durch das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut, kann die neue Steuer in Deutschland bis zu 12 Milliarden Euro bringen. Um es deshalb auch gegenüber kritischen Stimmen innerhalb der Kirche ganz klar zu sagen, das kirchliche Eintreten für die Finanztransaktionssteuer ist eine Option für die Schwachen und gehört zum Verkündigungsauftrag. Sie ist ein tatkräftiges Instrument als Ergänzung der Wortverkündigung, der Appelle von Diakonie und Kirche für mehr soziale Gerechtigkeit.

Was genau ist unter der Finanztransaktionssteuer zu verstehen?

Meier: Die Finanztransaktionssteuer ist nichts anderes als eine Mehrwertsteuer auf börsliche und außerbörsliche Finanzprodukte und soll damit auch die Derivat-Umsätze betreffen. Im Gegensatz zu Transaktionen in der realen Wirtschaft, durch die beispielsweise für die Produktion nötige Rohstoffgeschäfte abgesichert werden, haben Derivate ohne diesen Realwirtschaftsbezug den Charakter von Wettgeschäften. Man wettet auf eine Entwicklung, das Ergebnis daraus ist der "Wettverlust" oder der "Wettgewinn". Diese Mechanismen werden heute überwiegend computergesteuert ausgeführt, mit ganz geringen Gewinnaufschlägen bzw. Margen. Durch die Finanztransaktionssteuer, die eine Abgabe von nur 0,01 Prozent auf diese spekulativen Derivat-Geschäfte vorsieht, werden etliche dieser Geschäfte nicht mehr rentabel sein und deshalb nicht mehr gemacht. Somit kann die neue Steuer dazu auch beitragen, die Preisausschläge von Rohstoffen zu glätten und den Finanzmarkt zu stabilisieren.

Also ein doppelter Effekt?

Meier: Die Finanztransaktionssteuer bringt direkt Geld zugunsten des doch sehr stark unter haushaltsbedingtem Kürzungsdruck stehenden Sozialbereichs und sie kann wesentlich helfen, dass in Zukunft eben die finanziellen Folgen kostspieliger Rettungsschirme für nationale Finanzmärkte produktbezogen von den Verursachern bezahlt werden. Dafür muss dann andererseits auch weniger Geld in den Sozialsystemen gekürzt werden.

Sehen Sie bei einer Abgabenhöhe von 0,01 bis 0,05 Prozent das Argument, dem "kleinen Mann" werde durch die neue Steuer Geld aus der Tasche gezogen, als reine Schutzbehauptung?

Meier: Bei allem Respekt vor dem sprichwörtlichen "Kleinen Mann", ist es doch eher selten, dass er börslich mit Risiko spekuliert. Es trifft auch nicht zu, dass für die Riestersparer die Produkte in einem spürbaren Umfang teurer werden. Da sind die Bankgebühren ja schon höher.

Oberkirchenrat Claus Meier ist in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zuständig für Haushalt und Vermögen, Liegenschaften der Landeskirche sowie die kirchliche Informationsverarbeitung. Foto: epd-bild

Sie waren bei der Anhörung im Bundestag dabei. Warum tut sich die Politik so schwer mit der Einführung der neuen Steuer, zumal bei einer Größenordnung von gerade mal einem Cent pro hundert Euro?

Meier: Die Finanztransaktionssteuer steht natürlich gegen die Interessen von Börsenspekulanten und Börsenakteuren, die auf Kosten der Gesellschaft durch Wettgeschäfte Gewinne machen wollen, während daraus entstehende Verluste sozialisiert werden. Kritiker wenden ein, dass ein neues Regulativ die Wirtschaft behindere. Demgegenüber will ich nur ein Beispiel anführen. In den USA wurde die Finanzkrise ausgelöst durch Produkte, die um den Immobilienmarkt herum geschaffen worden sind. An dem Nachbarland Kanada ging die Krise fast spurlos vorbei. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: In Kanada gibt es für Bankkredite zur Finanzierung von Immobilienkäufen eine strenge staatliche Aufsicht. Diese scharfe Kreditkontrolle als staatliches Regulativ hatte also nur positive Auswirkungen und den Kanadiern viel erspart. Gegen die Kritiker lässt sich auch die "Stamp Duty" in England anführen. Mit dieser Steuer werden inländische Aktienkäufe belegt, die Einnahmen daraus in Höhe von rund 5 Milliarden Euro entsprechen fast den Ausgaben des deutschen Entwicklungshilfeministeriums. Mir ist nicht bekannt, dass durch diese "Stamp Duty" die Londoner Börse geschwächt worden ist.

Vor einiger Zeit haben Sie die Auswüchse des Finanzmarktes als "Sauerei" bezeichnet. Würden Sie diesen harten Ausdruck auch heute noch verwenden, nachdem doch viele Anstrengungen zur Stabilisierung gemacht wurden?

Meier: Ich glaube, so empfindet es auch der "Mann auf der Straße", von dem ich mich nicht abgehoben fühle. Natürlich gibt es auch real wirtschaftsbezogene Situationen, wenn etwa Preise für Rohstoffe abgesichert werden. Da halte ich diese Instrumente für sehr sinnvoll. Wenn aber durch spekulative Wettgeschäfte das reale Wirtschaftssystem schwer belastet wird und durch ein virtuelles System ersetzt wird, halte ich das auch heute noch für eine "Sauerei", mit äußerst gefährlichen Folgen für die gesamte Gesellschaft. Die Banken wurden nach der Krise mit sehr viel Steuergeld gerettet, weil der Finanzkreislauf als Blutkreislauf der Gesellschaft gilt. Übersehen wird dabei allerdings, dass neben dem Blutkreislauf eine Gesellschaft auch ein Vegetatives Nervensystem, also soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt braucht, um überleben zu können. Zu diesem Vegetativen System gehört auch die Finanztransaktionssteuer.

Die Entwicklungshilfeorganisationen wie auch die Diakonie wollen die Mittel aus der neuen Steuer nicht nur für den deutschen Sozialbereich, sondern auch global einsetzen.

Meier: Da sehe ich keinen Widerspruch. Denn die Armutsmuster sind regional, national und international ausgebildet. Global geht die Schere zwischen dem Norden und Süden immer weiter auseinander, weshalb der Süden auch besondere Hilfen braucht. Dabei darf hierzulande nicht vergessen werden, dass die armen Länder des Südens in besonderem Maße unter der nicht von ihnen verschuldeten Finanzkrise leiden. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die neue Steuer ist der Klimaschutz. Das alles unterstützt das Prinzip der Nachhaltigkeit, dem die Kirche allein schon von ihrem Auftrag verpflichtet sein muss.

Durch die Finanzkrise wird es nach einer Prognose der Weltbank in den armen Ländern in den nächsten fünf Jahren zu 2,8 Millionen Toten kommen, die " Brot für die Welt"-Chefin Füllkrug-Weitzel fordert eine grundsätzlich neue, verantwortungsvolle Finanzpolitik. Kann die Kirche dafür Vorreiter oder sogar ein Gegenmodell zu dem jetzigen System sein?

Meier: Zunächst einmal gilt, dass Kirche kein Gegenmodell zur Gesellschaft ist, sondern Teil der Gesellschaft. Sie lebt, verkündet und arbeitet in dem gleichen Wirtschaftssystem wie die ganze Welt.
Und ein Wirtschaftssystem ist dazu da, reale wirtschaftliche Erfolge zu suchen. Auch die Kirche muss Geld anlegen zur Finanzierung ihrer Versorgungsverpflichtungen, private Versorgungssysteme werden durch Kapitalanlagen finanziert und die Versorgungsbezüge der Pfarrerinnen und Pfarrer müssen schlicht und einfach erwirtschaftet werden. Die Kirche will und muss eine verlässliche Arbeitgeberin sein. Deshalb kommt es auch den kirchlichen Angestellten zugute, dass das kirchliche Kapitalvermögen von 2003 bis 2009 um 55 Prozent gewachsen ist. Die Kirche hat aber nicht das Ziel einer Gewinnmaximierung. Als Teil der Gesellschaft muss sie sich aber tatkräftig in Belange, vor allem die sozialen, einer Gesellschaft einmischen. Ein Beispiel für dieses Engagement ist die Finanztransaktionssteuer.

Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Meier: Die Unterschriftenlisten sind inzwischen an alle 1.540 evangelischen Kirchengengemeinden in Bayern gegangen. Ende Oktober sollen diese Unterschriften ins Bundeskanzleramt gebracht und der Bundeskanzlerin übergeben werden. Wir organisieren also ein Meinungsbild der Bürgerinnen und Bürger. Die Menschen haben die Möglichkeit, mit ihrem guten Namen der Politik gegenüber deutlich zu machen, dass sie ein gerechteres Wirtschaftssystem wollen. Und wir hoffen und erwarten, dass die Bundeskanzlerin dieses Meinungsbild ernst nimmt und die bundesweite Kampagne "Steuer gegen Armut", die wir ja unterstützen, einen weiteren Schub bekommt.


Die bayerische Landeskirche hat die Unterschriftenlisten an die 1.540 evangelischen Kirchengemeinden im Freistaat verschickt. Ende Oktober sollen sie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben werden. Mit der Aktion unterstützt die Landeskirche die bundesweite Kampagne "Steuer gegen Armut", bei der sich 82 Organisationen für die Einführung der Finanztransaktionssteuer einsetzen.