Harry Potter und das Christentum: Ende gut, alles gut

Harry Potter und das Christentum: Ende gut, alles gut
Mit dem 7. und 8. Film "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" kommt die siebenteilige Potter-Saga von J.K Rowling nun zu einem prächtigen, beeindruckenden Finale. Wir erleben, wie aus der Auseinandersetzung des Schülertrios Harry, Ron und Hermine mit Feinden und Neidern ein fast endzeitlicher Konflikt darum geworden ist, wer die Zauberschule Hogwarts beherrschen wird. In den Büchern und Filmen verstecken sich dabei viele Anknüpfungspunkte für christliches Gedankengut - manchmal sogar ziemlich offen.
15.07.2011
Von Thomas Gandow

Einstweilen hat das Böse die Oberhand gewonnen. Schüler müssen im Internat wie in einer Nazi-Burg marschieren und antreten. Der zu Grunde liegende Rassismus, zwischen "reinrassigen" Zauberern, Mischlingen und Normalmenschen, den "Muggeln" zu unterscheiden, hatte die ganze Saga durchzogen, wird im letzten Film aber nicht noch einmal explizit benannt. Dafür gibt es Wächter in SA-artigen Uniformen, Kollaborateure, aber auch verdeckte und offene Widerstandskämpfer, sogar eine regelrechte Widerstandsarmee unter den Schülern, "Dumbledors Army". Alle müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen.

Von außen kommt ein zerstörender, bomben-artiger, totaler Krieg, der fast das ganze Internat in Schutt und Asche legt wie Coventry oder Dresden. Die Schule verwandelt sich unter dem Ansturm der Feinde in ein Lazarett, noch vor dem entscheidenden Showdown zwischen Potter und Voldemort. Aber es kommt trotz allem und durch alles hindurch zu dem erwarteten guten Ende, dem, wenn auch vorläufigen, Sieg der Guten und des Guten über die Bösen. Deshalb kann Rowling das Buch abschließen mit dem Satz: "All was well".

Ein Körnchen Versprechen auf Fortsetzung steckt darin: Was, wenn es, wie zu erwarten, nicht so geblieben ist? Denn auch der Film zeigt den Epilog, in dem "neunzehn Jahre später" die zu Eltern gewordenen Freunde und Schulkameraden Potters ihre Kinder nach Hogwarts ins Internat schicken. Nun steht der zweite Sohn Potters, Albus Severus, bei seiner Einschulung vor der Entscheidung, ob er in das Haus Gryffindor der überwiegend Guten oder in das Problemhaus Slytherin einziehen soll.

Das Todesproblem

Aber erstmal geht es um den Abschluss der Geschichte von Harry Potter selbst. Der Film bebildert das Ende eines Entwicklungsromans, in dem der junge Harry Potter vom Grundschüler zum jungen Mann geworden ist. Ist das alles, was ich erlebt habe, real oder findet es nur in meinem Herzen statt, fragt Potter seinen Lehrmeister Dumbledore. Und der antwortet weise: Es ist alles in deinem Herzen. Aber das bedeutet doch nicht, dass es nicht real ist.

"Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod" - dieser Bibelspruch (1. Kor. 15, 26) steht auf dem Grabstein der Eltern von Harry Potter, Lily und James, den Potter und seine Freunde aufgesucht hatten. Und um den Tod und das Böse geht es vor allem in dem siebten Potterroman von J.K. Rowling.

Vieles haben Menschen versucht, um dem Tod zu entfliehen. Nach einer im Potter-Roman erzählten Sage hatten drei Brüder, die sich vor dem Tod fürchteten, von diesem jeweils eine Gabe erhalten, die sie vorläufig vor dem Tod schützte, die drei "Heiligtümer des Todes" ("Deathly Hallows"). Es waren ein unbesiegbarer Zauberstab, ein Stein der Auferstehung, mit dem man aber nur Tote als Geister erscheinen lassen konnte und ein Umhang, der unsichtbar macht, auch vor dem Zugriff des Todes. Das alles waren aber nur Mittel, den Tod aufzuhalten, nicht ihm zu entgehen.

Aufgeben im Kampf gegen das Böse wäre auch ein Tod

Harrys Gegner Lord Voldemort will den Tod dadurch überwinden und unsterblich werden, dass er durch Seelenspaltung in einer Art Risikostreuung seine Seelenteile an sechs verschiedenen Orten als "Horkruxe" deponierte. Bei der Ermordung der Potter-Eltern war aber ein weiterer seiner Seelenanteile abgespalten worden, der in die Persönlichkeit von Harry eindrang. Als nach dem vorletzten Kampf mit Voldemort Potter aus dem Wald wie tot zurückgebracht wird, hatte das Böse nur scheinbar gesiegt. Potter musste nur den bösen Anteil in sich, den er mit Voldemort gemein hatte und der ihm besondere Fähigkeiten gab, sterben lassen. Mehr konnte Voldemort nicht töten.

Es ist der von vielen für naiv und ungeschickt gehaltene Neville Longbottom, der im Film in seiner beeindruckenden Rede gegen den bösen Voldemort erklärt, dass der zeitliche Tod kein Grund ist, dem Bösen nachzugeben. Alle Menschen müssen einen natürlichen Tod sterben. Aber aufzugeben im Kampf gegen das Böse wäre ein anderer Tod.

Rowling – und der Film – betonen immer wieder die ständige Möglichkeit, sich in jeder Situation neu zu entscheiden. Das Böse ist in der Potter-Saga trotz aller schicksalhaften Verstrickungen letzten Endes kein unausweichliches Fatum, sondern eine Option. Der Mensch hat die Möglichkeit, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Und das tut Harry, wenn auch gelegentlich zögernd und nach inneren Kämpfen. Als Harry am Ende den Zauberstab der Unbesiegbarkeit in Händen hält, freut sich Ron, der von der potentiellen Allmacht fasziniert ist. Aber Harry zerbricht den Zauberstab, der unbesiegbar macht, und wirft ihn fort.

Die Zauberei ist nur Illustration, nicht Inhalt

Die Parallelwelt der Zauberer ist wie die Normalwelt vom Kampf der Guten und Bösen bestimmt. Magie ist abhängig von den Intentionen, wie Macht und Technik in der Normalwelt. So gibt es eine ständige Auseinandersetzung zwischen böser, schwarzer Magie und den "normalen" Zauberern.

Die Zauberwelt dient zur Illustration der inneren Kämpfe der Romanhelden und ist nicht der Inhalt, auch wenn die Fanszene bis hin zu Wikipedia-Beiträgen alle diese "magischen" Äußerlichkeiten sehr ernst nimmt, katalogisiert und interpretiert.

In der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben in dem Roman erscheinen Totengeister. Man könnte den Verdacht des Spiritismus erheben. Aber die Toten sind bei uns in der Erinnerung. Den sogenannten Stein der Auferstehung, der benutzt werden kann, um Totengeister erscheinen zu lassen, kann Harry Potter daher achtlos aus der Hand gleiten lassen.

Ist Harry Potter Christ?

J.K. Rowling, selbst eine normale Kirchgängerin, zeichnet mit Harry Potter das Bild eines jungen Menschen unseres Kulturkreises: Potter ist Christ so wie die meisten von uns. Er wurde von seinen Eltern als Kind trotz schwieriger Kriegszeiten getauft. Wie wir kennt und versteht er die christliche Tradition nicht mehr. Dumbledore schrieb auf den Grabstein seiner eigenen Mutter und Schwester ein Wort aus der Bergpredigt: "Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Matt 6, 21).

Rowling schreibt, dass Harry beim Besuch auf dem Friedhof "nicht verstand, was diese Worte bedeuten sollen" – wie wohl die meisten von uns. Zwar ohne religiöse Bildung aufgewachsen, gelingt es ihm dennoch, sich bis zuletzt immer wieder christlich zu verhalten: Er setzt sich für seine Feinde ein, rettet auch sie aus Lebensgefahr und ist so mutig, immer wieder sein Leben für seine Freunde einzusetzen. Er ist dem Stolz, der Eitelkeit und anderen Versuchungen ausgesetzt und kann sie, wenn auch mit großen Mühen, fast immer überwinden.

Sehr deutlich hat Rowling im letzten Band die Figur des Harry Potter aus dem sowohl in der Fanszene als auch bei der christlich-fundamentalistischen Kritik überhöhten Messias-Anspruch herausgeholt. Denn es ist Neville und nicht Harry Potter, der der bösen Schlange des Voldemort zuletzt den Kopf abschlägt.

Anknüpfungspunkte für christliche Verkündigung

John Granger wies in "Christianity Today" darauf hin, dass abgesehen von der Bibel und den Worten des Genossen Mao kein anderes Buch in unserer Zeit eine solche Verbreitung gefunden hat. Nur wenige Ereignisse haben nach 1990 auch nur annähernd eine solche Gleichzeitigkeit in der Rezeption durch eine ganze Altersgruppe gehabt – und wenn dann nur punktuell. Ich denke an den 11. September oder – nur für Deutschland – an das sogenannte "Sommermärchen".

Abgesehen davon, dass Frau Rowling auch weitere Romane mit neuen Helden schreiben kann, gilt es, das Phänomen zu bewerten, dass global eine ganze Generation von Junglesern seit 1997 (seit 1998 auf deutsch) mit den Potter-Büchern und -Filmen aufgewachsen ist. Rowling hat betont, dass sie den "Komposthaufen" all dessen, was sie selbst früher gelesen, ausgeschlachtet und fruchtbar gemacht hat für ihre Potter-Saga. Damit hat sie aber auch ihre Lesefrüchte und damit auch ihre Aufnahme christlicher Inhalte der postmodernen Kultur zugänglich gemacht.

Hier könnten fruchtbare Anknüpfungspunkte für christliche Jugendarbeit und Verkündigung liegen. Denn was bedeutet es, dass die Eltern Harry tauften? Wo stammen die Weisheiten und Grabinschriften Dumbledores her und was bedeuten sie jetzt für Harry und seine Freunde, also auch die Leserinnen und Leser, die Zuschauerinnen und Zuschauer der Potter-Saga? Die Suche nach den Quellen von Joanne K. Rowling kann die geheimen Schatzkammern zu den verschütteten Grundlagen unserer christlichen Kultur und Literatur wieder öffnen.


Thomas Gandow, Jahrgang 1946, ist Pfarrer für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Er geht dieses Jahr in den Ruhestand, hat sich für evangelisch.de aber noch den letzten Harry-Potter-Film angeschaut.