Bischof George Bell: Geheimbotschaft für Churchill

Bischof George Bell: Geheimbotschaft für Churchill
Zum Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Reichskanzler Adolf Hitler am 20. Juli 1944 erinnern wir in einer Serie an Widerstandskämpfer, die im evangelischen Glauben verwurzelt waren. In den 1930ern warnte Bischof George Bell in England vor den Nazis – und fand kaum Gehör. In den 1940ern versuchte er sein Land zu überzeugen, dass nicht alle Deutschen Nazis waren - ebenfalls vergeblich. Dennoch: George Bell, Bischof von Chichester, war einer der wichtigsten ausländischen Unterstützer des deutschen Widerstandes gegen Hitler. Vor allem zur kirchlichen Opposition im Reich unterhielt Bell, einer der Väter der internationalen Ökumene, enge Kontakte.
13.07.2011
Von Martin Rothe

In Sigtuna, im neutralen Schweden, wird am 1. Juni 1942 ein britischer Reisender, prominentes Mitglied des House of Lords, überraschend von einem deutschen Geheimkurier aufgesucht. Großbritannien und das Deutsche Reich sind seit bald drei Jahren mit Krieg miteinander. Der deutsche Kurier arbeitet für die Spionageabwehr der Wehrmacht – die eine entscheidende Zelle des Widerstandes gegen die Nazis ist.

In Sigtuna informiert er den Briten über einen bevorstehenden Militärputsch gegen Hitler und bittet die britische Regierung um indirekte Unterstützung. Der Name des deutschen Geheimkuriers: Pfarrer Dietrich Bonhoeffer. Der Name des britischen Lords: George Bell, anglikanischer Bischof von Chichester.

Frühzeitiger Warner vor den Nazis

Der 59-jährige Bell und der 36-jährige Bonhoeffer kennen einander seit Jahren. 1931 waren sie einander auf einer internationalen Konferenz der noch jungen Ökumene-Bewegung begegnet. Als Bonhoeffer dann wenig später für zwei Jahre als Auslandspfarrer nach London kam, intensivierte sich ihr Kontakt.

Bischof Bell hatte 1933 die Machtübernahme der Nazis in Berlin miterlebt und war früher als andere ausländische Beobachter von den brutalen Maßnahmen des neuen Regimes alarmiert. Dietrich Bonhoeffer wurde sein wichtigster Informant über die Vorgänge in Deutschland. Bell seinerseits gab die Informationen an die britische Presse weiter. Durch ihn erfuhr das Königreich mehr über die beginnende Judenverfolgung, über Konzentrationslager und über die Existenz einer kirchlichen Opposition in Deutschland.

Bells Warnungen vor dem Hitlerregime wurden jedoch bis 1938 von vielen britischen Politikern in den Wind geschlagen. Noch wollten sie zu einem gütlichen Ausgleich mit dem aufstrebenden „Dritten Reich“ gelangen und dessen Gebietsansprüchen beschwichtigend entgegenkommen.

"Bischof der Flüchtlinge"

George Bell indes war schmerzlich bewusst, welchen Preis Juden und Oppositionelle in Deutschland zu zahlen hatten. Für die "Bekennende Kirche", die den nationalsozialistischen "Deutschen Christen" widerstand, setzte sich der Bischof in seiner Eigenschaft als Präsident des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum mit ganzer Kraft ein.

Außerdem übernahm er den Vorsitz des Internationalen Christlichen Komitees für deutsche Flüchtlinge – und half hier besonders den Judenchristen, für die sich damals kaum jemand engagierte. Um sie bei der Auswanderung zu unterstützen, entsandte er seine Schwägerin nach Deutschland und öffnete sein Privathaus für Emigranten. Zeitweise überlegte er sogar, seine Diözese Chichester aufzugeben, um "Bishop of the Refugees" zu werden. Faktisch war er das bereits.

Widerspruch gegen Churchill

Als 1940/41 Hitlers Luftwaffe englische Städte gnadenlos bombardierte, antwortete die britische Regierung unter Premierminister Winston Churchill mit dem Flächenbombardement deutscher Städte. Dagegen protestierte Bischof George Bell: "Es ist barbarisch, unbewaffnete Frauen und Kinder bewusst zum Angriffsziel zu machen", schrieb er 1941 in einem Leserbrief an die Times. Das "area bombing" stelle alle humanen und demokratischen Werte in Frage, für die sein Land Krieg führe, betonte der Lordbischof noch zwei Jahre später vor dem Oberhaus.

Seine Einwände lösten heftigen Widerspruch aus. Unpopulär machte er sich auch mit seinem ständig wiederholten Mantra: "Germany and National Socialism are not the same thing." Lieber glaubte die britische Öffentlichkeit seinem Opponenten, Sir Robert Vansittart, der Deutschland pauschal mit Militarismus und Nationalsozialismus gleichsetzte. So verhinderte Churchill den fast schon sicheren Aufstieg des kritischen Kirchenmannes zum Erzbischof von Canterbury.

Werden die Alliierten auf die Sigtuna-Botschaft reagieren?

In Unkenntnis um diese innerbritischen Verhältnisse setzt nun der deutsche Widerstand große Hoffnungen auf George Bells Einfluss in London. Dietrich Bonhoeffer nennt ihm in Sigtuna die Namen der Verschwörer in Berlin: Ludwig Beck, Carl Goerdeler et cetera. Er bittet den Bischof, auf die britische Regierung einzuwirken: Sie soll öffentlich signalisieren, dass es noch ein "anderes Deutschland" gibt, mit dem man im Fall des Falles Verhandlungen aufnehmen würde.

Zurück in Großbritannien, zieht Bischof Bell alle Register. Er erreicht ein Treffen mit Churchills Außenminister Anthony Eden, der zunächst interessiert scheint. Doch am 17. Juli schickt Eden eine negative Antwort: "Ohne die ehrliche Überzeugung Ihrer Berichterstatter im geringsten in Frage zu stellen, habe ich keinerlei Zweifel, dass es dem Interesse unserer Nation zuwider liefe, jenen irgendwelche Antworten zukommen zu lassen."

Die Westmächte und der 20. Juli 1944

Weitere Versuche George Bells bleiben ohne Erfolg: Die Alliierten beschließen in Casablanca, den Weltkrieg bis zur bedingslosen Kapitulation Deutschlands weiterzuführen. Einem erfolgreichen Putsch in Deutschland ist damit außenpolitisch der Boden entzogen.

Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 und der anschließenden Bestrafung der Verschwörer wird der englische Bischof seiner Regierung vorwerfen, trotz besseren Wissens dem deutschen Widerstand nicht geholfen zu haben. Sein Berliner Informant Dietrich Bonhoeffer ist da schon seit 16 Monaten inhaftiert.

London trauert um einen deutschen Märtyrer

Am 27. Juli 1945 hält der Bischof von Chichester in London einen Trauergottesdienst für den kurz vor Kriegsende ermordeten Freund. Die Holy Trinity Church ist bis auf den letzten Platz gefüllt mit Engländern und Exil-Deutschen, unter ihnen Bonhoeffers Schwester. Der Gottesdienst wird von der BBC nach Deutschland übertragen – ungewöhnlich in diesen Tagen, geht es doch um einen toten Deutschen.

An den Bischof von Chichester – für Bonhoeffer eine der größten Persönlichkeiten, die er in seinem Leben getroffen hatte – waren auch die letzten überlieferten Worte des deutschen Theologen gerichtet. Am Tag seiner Hinrichtung in Flossenbürg hatte er sie einem englischen Mitgefangenen anvertraut: „Sag ihm, dass dies für mich das Ende ist – aber auch der Anfang. Mit ihm glaube ich an die Grundlagen unserer weltweiten christlichen Bruderschaft, die alle nationalen Hassgefühle übersteigt, und daran, dass unser Sieg gewiss ist. Sagen Sie ihm auch, dass ich seine Worte bei unserem letzten Treffen in Sigtuna nie vergessen habe.“

Visionär einer sozial engagierten Ökumene

George Bell, Bischof von Chichester, starb am 3. Oktober 1958. Zehn Jahre zuvor hatte man ihn noch zum Ehrenvorsitzenden des neu gegründeten Ökumenischen Rates der Kirchen gewählt. Anders als Bonhoeffer in Großbritannien, ist Bell in Deutschland zu Unrecht vergessen. Seine Vision einer Ökumene, die sich den Armen und Verfolgten verpflichtet weiß, vermag auch heute noch zu inspirieren.


Martin Rothe ist Freier Journalist, hat Philosophie, Theologie und Religionsgeschichte studiert und die Evangelische Journalistenschule in Berlin absolviert. Seine Schwerpunktthemen sind Kirche, Islam, Integration und Zivilcourage.